Dieser Artikel stammt aus der M! 360 (September 2023).
MERING • Nachdem Pionier Atari schnell schlappmacht, beginnt das Game-Zeitalter für viele Europäer und die meisten Deutschen mit Commodore: Unter der Führung des geborenen Polen und Holocaust-Überlebenden Jack Tramiel und global gut aufgestellt, versorgt uns der US-Büromaschinenhersteller mit dem ”Volkscomputer” VC-20 und ab 1983 mit dem ”64er”, der zur beliebtesten Spielemaschine avanciert: zwei Joystick-Ports, Sprite-Grafik, SID-Synthie-Soundchip! 1985 liefert Commodore den 16-Bit-Rechner Amiga in Deutschland aus, anfangs ein unerschwinglicher Grafik-Desktop, dann als A500 ein Hobby-Hit und Millionenseller. Doch trotz seiner überragenden Grafik- und Soundleistung floppt Commodores 16-Bit-Rechner auf dem US-Heimmarkt (wo sich nach C64 die DOS-PCs durchsetzen). Die Amiga-Szene floriert nur in Europa und hier gibt England Ton und Takt an. Alle großen Games-Hersteller der Insel – Ocean, US Gold, Firebird, Gremlin, Elite, Psygnosis, Codemasters usw. – produzieren Amiga-Software wie am Fließband und bescheren den Jahrgang-1968-bis-1980-Spielern wegweisende Meisterwerke wie Populous, Lemmings, Speedball, Lotus Challenge oder die Polygon-Wunder Carrier Command und Starglider 2.
Die Pionierzeit der englischen und europäischen Szene schildert David Pleasance, seinerseits Jahrgang 1948 und in den 1980ern General Manager von Commodore UK, aus Sicht des Marketing-Spezialisten. Sein Erfolg ist ”legendär”, er ”für den Verkauf von 2,25 Millionen Computern verantwortlich” und der Konkurrenz ”immer einen Schritt” voraus: Die erste Hälfte des Buchs ist eine autobiografische Skizze, mit der Pleasance klarstellt, dass sich der Amiga-Erfolg nicht zuletzt seinem forschen Vorgehen, Talent und Einsatz verdankt. Mit Spielemarktführer Ocean ertüftelt er Commodores legendäres ”Batman Pack”-A500-Bundle und räumt ”in den wenigen Wochen vor Weihnachten alles ab”. Immer selbstbewusst, nicht selten großspurig und lustig, führt Pleasance seine Verkaufsabteilungen von Erfolg zu Erfolg und von der Messe zum Aftershow-Maskenball.
Als Chef einer Commodore-Schlüsselabteilung berichtet er auch über andere Europa-Niederlassungen (Schweiz, Holland), beschreibt und beklagt das ”Missmanagement eines globalen Computergiganten” und die Tramiel-Ablösung durch den unbeliebten Investment-Banker Mehdi Ali. Bis zuletzt seiner Firma treu, managt Pleasance die Einführung der CD32-Konsole und muss schließlich Commodores Auflösung und Zerschlagung erleben. 1994 ist er ”ziemlich traumatisiert von dem Debakel”. Seiner Story folgen Erinnerungen 13 weiterer Commodore-Veteranen, darunter ”Eine unerzählte Amiga-Geschichte” von RJ Mical, der ”Frühe Tage”-Bericht des amerikanischen Chip-Ingenieurs Dave Haynie und Peter Kittels ”Zeit bei Commodore Deutschland”. Die bunte Auswahl der Essays beschließt ein ”Zitate”-Anhang mit Kurztexten namhafter britischer Spiele-Produzenten, darunter Gary Bracey (Ocean), Martyn Brown (Team17), Mark Cale (System 3), David Gardner (EA) und Jon Hare (Sensible Software).
Schon im englischen Original recht wild getextet und mittelmäßig übersetzt, ist ”The Inside Story” höchst subjektiv, aber durchgehend informativ und spannend. Dass es im farbig bebilderten Hardcover mehr um persönliche Highlights und Events als um sachliche Geschichtschronik geht, werten wir eher als Stärke, denn Schwäche: Hier schreiben nicht Journalisten, sondern damalige Manager und Macher – mal selbstkritisch, mal euphorisch.
Commodore: The Inside Story • Look Behind You Verlag • 384 Seiten • 35 Euro