Mein 1. MMORPG Silkroad Online hat mich zum Cringe-Dieb gemacht und zu Hentai geführt

MeinMMO-Dämon Cortyn erzählt vom ersten MMORPG. In Silkroad Online war die Welt noch in Ordnung – oder so ähnlich. Denn die erste Gilde wollte viel und konnte gar nichts.

Die erste große MMORPG-Liebe ist etwas ganz besonders – auch für mich. Selbst wenn viele Erinnerungen inzwischen ein wenig verschwommen sind, weiß ich noch sehr gut, wie ich mich damals jeden Tag eingeloggt habe, um zu grinden und mit meiner Gilde Unsinn anzustellen. Auch wenn wir niemals wirklich „was gerissen“ haben, die Gefühle von damals sind noch da.

Die Rede ist vom ersten „Silkroad Online“.

Also lasst mich euch von Silkroad erzählen. Einem mehr als klassischen MMORPG, das heute (zu Recht) kaum noch jemand kennt. Aber es war eben mein erster Ausflug in die Welt der MMORPGs und hat daher für immer einen ganz besonderen Platz in meinen Erinnerungen.

Wichtig zu wissen ist, dass Silkroad noch diese ganzen ätzenden Mechaniken hatte, die in späteren MMORPGs (zum Glück) nicht mehr auftauchten. Ein paar Beispiele:

Quests wollten, dass man 30 Kerne von Stein-Elementaren sammelt. Diese droppen aber nur von ganz besonderen, seltenen Elementaren, die eine 1:5-Chance haben, überhaupt zu erscheinen. Und dann haben sie nochmal eine Wahrscheinlichkeit von 50 %, überhaupt zu droppen. Im Schnitt hat man hier also 300 Elementare verdroschen.

Der Tod war nicht ohne Folgen. Wer starb, der verlor eine große Menge an Erfahrungspunkten. Ein einziger Tod konnte den Grind von 3 bis 4 Stunden vollkommen rückgängig machen. Mehrere Tode in Folge konnten die Arbeit von Wochen auslöschen.

Ich will ganz ehrlich mit euch sein, viele Erinnerungen an das Gameplay von Silkroad Online hatte ich nicht mehr. Es war ein Rausch aus Heiltrank-Spammen und die 5 immer gleichen Fähigkeiten drücken. Als ich mir im Internet Screenshots aus der damaligen Zeit anschaute, habe ich verwirrt die Stirn gerunzelt und mich gefragt: „Habe ich das echt mal gespielt?“

Doch dann führte ein Hinweis zum anderen und die Erinnerungen kamen Stück für Stück zurück.

Screenshots aus einer anderen Zeit – damals noch mit Röhrenmonitoren. (Bildquelle: donationcoder.com)

Ein simples Berufe-System, das einfach cool war

Neben den typischen Asia-Game-Klassen, gab es nämlich auch ein „Job“-System, das der wohl wichtigste Aspekt des Spiels war: Es gab drei unterschiedliche „Berufe“, denen man sich ab Stufe 20 verschreiben konnte:

Als Dieb war es die Aufgabe, den Händlern aufzulauern und denen ihre Waren abzunehmen, um die dann für viel Profit verkaufen zu können. Händler („Trader“) wurden aber zumeist von den Jägern („Hunter“) beschützt, die wiederum Jagd auf Diebe machten.

In der Theorie war das also eine coole Vermischung von 3 verschiedenen Fraktionen:

Die Händler versuchen Waren von A nach B zu bringen, um Profit zu machen.

Die Jäger beschützen die Händler vor Dieben und bekommen dafür Lohn.

Diebe überfallen die Händler und verkaufen die Beute selbst.

Weil ich damals schon so edgy war wie die Hörner auf meinem Kopf, kam natürlich nur eine einzige Rolle infrage: Dieb.

Damals habe ich mit einem Schulkameraden zusammen gespielt und wir waren uns einig, dass wir die größte und gefährlichste Diebes-Gilde aufbauen wollten, die der Server jemals gesehen hatte.

Die Gilde musste natürlich auch einen besonders „coolen“ Namen haben, also wählten wir „schwarze Pest“ – denn Diebe trugen in dem Spiel immer schwarze Kleidung. Aber weil es ein gemischtsprachiger Server war, sollte der Name englisch sein: Black Blight.

In der Theorie hatten wir uns das wunderbar ausgemalt. Wir lauern irgendwelchen Händlern auf, rennen dann schnell ins Gebüsch, um unsere Diebes-Klamotten anzuziehen (nur dann nahm man an diesem „Berufe-Krieg“ auch wirklich teil) und dann den Händler auszurauben.

Die drei aktuell größten MMORPGs in Deutschland haben wir hier:

Meine Gilde war „Team Rocket“ für ganz Arme

Wir hatten damals natürlich keine Ahnung, dass selbst im Startgebiet die Händler bereits von Jägern auf der maximalen Stufe beschützt werden. Denn wenn ein Server schon eine Weile aktiv war, hatten Händler ausnahmslos immer hochstufige Jäger dabei. Vor dem maximalen Level als Dieb überhaupt angreifen zu wollen, war restlos beknackt – aber das wussten wir damals nicht.

Wir haben viele Angriffe geplant. Wir haben viel taktiert. Wir warteten, dass ein Weltboss in einem Gebiet spawnte, weil der in der Regel alle Spieler anlockt. Das sahen wir dann als unsere Gelegenheit, Händler anzugreifen, die ihre Reise nicht mehr abbrechen konnten und – hoffentlich – ohne Schutz dastanden.

Spoiler: Das war absolut niemals der Fall.

In den rund 3 Monaten Spielzeit gab es nicht einen einzigen, erfolgreichen Angriff der Gilde Black Blight auf irgendwelche Händler.

Doch uns hat das gar nicht so sehr gestört. In bester „Team Rocket“-Manier haben wir uns jedes Mal gedacht: „Dann halt beim nächsten Mal!“ Irgendwie war ich damals auch noch deutlich toleranter gegenüber Frustration als heute. Heute vergeht mir nach 3 verlorenen Overwatch-Matches in Folge ja schon die Lust.

Viel mehr als an das Spiel selbst erinnere ich mich aber an die Gespräche in meiner Gilde.

Denn oft saßen wir einfach am Straßenrand, am Ufer eines Sees und betrieben ein wenig „Pseudo-RP“. Das waren einfach ein paar Hirngespinste, wie unser nächster Angriff laufen würde und das schon bald – sehr, sehr bald! Ganz bestimmt! – der Server vor Black Blight erzittern würde.

So sahen die „Diebe“ damals aus. Leider kein Bild aus meiner Gilde.

Spontane Hentai und der Anfang vom Ende

Nach und nach haben wir immer mehr Leute rekrutiert, die entweder Dieb gespielt haben oder „den Gildennamen cool fanden“. Ja, das waren unsere Auswahlkriterien damals.

Da Silkroad nur internationale Server hatte, mussten wir uns auf Englisch verständigen – etwas, das ich damals noch nicht sonderlich gut konnte. Fast permanent habe ich irgendwelche Vokabeln nachgeschlagen, wenn wir uns im Gildenchat unterhalten haben.

Anime war damals noch ein Nischenhobby und der einzige legale und erreichbare Konsum war damals über RTL2 – Pokemon, Sailor Moon, Inuyasha und Dragon Ball. Einer meiner Gilden-Kollegen hatte mich dann mit der Idee angefixt, mir doch „Bleach“ anzuschauen – das war damals in Japan ziemlich angesagt.

Dazu kam, dass wir damals nur „DSL 1000“ hatten, denn alles andere, um den Mann meiner Mutter zu zitieren, sei „herausgeschmissenes Geld, das man eh niemals braucht.“

Mit der absoluten Billig-Leitung illegal Anime über Torrent-Plattformen herunterzuladen, nur um nach Stunden festzustellen, dass jemand die Datei zwar „Bleach Episode 73“ genannt hatte, nur um danach dann eine Folge von „Bible Black“ zu erhalten, war dann nochmal verstörend auf einem ganz anderen Level.

Um die Gilde abschließend zusammenzufassen: Ja, das war ein Haufen Nerds mit Anime-Fetisch, die gerne besonders „edgy“ sein wollten und als Diebe die wehrlosen Händler überfallen. Nicht ein einziger Überfall in der kurzen Geschichte der Gilde war erfolgreich. Wir haben das absolute Klischee gelebt – und es geliebt.

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Auch wenn Silkroad sicher nicht das beste Spiel war, hat es mich auf meinen Weg geschickt. Es hat indirekt dafür gesorgt, dass ich die englische Sprache gelernt habe und auch meine Liebe zu Anime nochmal befeuert, die bis heute anhält.

Von Silkroad abgebracht hatte mich dann irgendwann ein anderer Schulfreund, der meinte, er hätte noch einen „Freundes-Code“, mit dem ich dieses „World of Warcraft“ mal ausprobieren kann. Das hat mein Schicksal dann endgültig zementiert.

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