Ein Hüter aus Destiny 2 wurde bereits aus 7 Clans verbannt, weil er an Tourette erkrankt ist

Die Welt der Online-Games, insbesondere Destiny 2, ist eine Bühne für epische Schlachten, heldenhafte Geschichten und unvergessliche Zusammenarbeit. Für Spieler wie Christian1 bedeutet dieser virtuelle Kampf jedoch auch, sich mit Vorurteilen und Unverständnis wegen seines Tourette-Syndroms auseinanderzusetzen. MeinMMO hat mit ihm über seine Erfahrungen gesprochen.

Das ist die ironische Realität mit Tourette: Christian ist leidenschaftlicher Zocker und ein Hüter. Seine Reise in die Welt von Destiny begann 2014 mit der Hoffnung auf epische Abenteuer, viele Triumphe und gemeinsame Siege.

Seine größte Herausforderung hat jedoch nichts mit den Feinden im Spiel zu tun, sondern mit seinen eigenen, unkontrollierbaren Tics. Denn er ist seit seinem sechsten Lebensjahr am sogenannten „Tourette-Syndrom“ erkrankt.

Das Herzstück des Problems bei Tourette liegt in den verbalen Tics, die Christian unweigerlich während Spielsitzungen in Destiny 2 ausstößt.

Diese Aussagen, die unkontrolliert aus seinem Mund kommen, sind oft beleidigend oder enthalten Schimpfwörter, die teilweise persönlich sind.

So wird ihm seit Jahren die Nutzung des LFG-Systems erschwert oder auch die Option in Clans langfristig akzeptiert zu werden.

Obwohl Christian andere Destiny-Spieler immer über seine Erkrankung informiert hat, interpretieren sie seine plötzlichen verbalen Ausbrüche viel zu oft als böswillige Angriffe. Aus diesem Grund wurde er bereits aus insgesamt sieben Clans geworfen und muss meist allein zocken.

MeinMMO hat mit ihm Destiny 2 gespielt und dabei über seine Erfahrungen, Probleme und Sorgen als Hüter mit Tourette-Syndrom gesprochen.

Tourette zu haben ist wie Licht und Dunkelheit

Du hast ständig Angst gebannt zu werden: Wenn man Christians Erfahrungen in Destiny 2 betrachtet, wird deutlich, dass eine bessere Aufklärung über Tourette in Teamspielen dringend benötigt wird. Obwohl Christian seine Krankheit stets direkt kommuniziert, gibt es große Missverständnisse, die sogar zu mehreren Clan-Ausschlüssen geführt haben.

Bei Christian ist es so, dass er an allen Formen des Tourette-Syndroms erkrankt ist, also die Koprolalie, Kopropraxie, Echolalie und Echopraxie. Was das genau bedeutet haben wir euch in dieser Infobox zusammengefasst.

Was ist Tourette?

Das Tourette-Syndrom ist eine Krankheit des Nervensystems. Diese Krankheit macht sich bemerkbar durch unwillkürliche Bewegungen und laute Tics, die immer wieder auftreten.

Tics sind plötzliche, schnelle Bewegungen oder Lautäußerungen, die schwer zu kontrollieren oder gar nicht beeinflussbar sind. Diese Tics können motorische Tics, wie Zucken oder Grimassieren, oder vokale Tics, wie unwillkürliches Räuspern oder Worte sagen, sein. Die Schwere und Art der Tics variiert von Person zu Person. Meistens handelt es sich um Schimpfwörter oder Beleidigungen, die teilweise harmlos, witzig oder auch wirklich drastisch sein können.

Obwohl man nicht genau weiß, was die Ursache ist, glaubt man, dass sowohl genetische als auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen. 

Zudem ist das Tourette-Syndrom nicht immer gleich. Manche haben vokale Tics, manchmal auch mit beleidigendem Charakter, “Koprolalie” genannt. Anderen machen nur Bewegungen, die sich jedoch ebenfalls mit beleidigendem Charakter zeigen können, das wäre dann die “Kopropraxie”. Bei der “Echolalie”/ “Echopraxie” wiederholen betroffene Person das vorgesprochene Wort oder auch Gesten.

Doch egal an welcher Form jemand erkrankt ist: Es ist wichtig zu betonen, dass Tourette keine Absicht oder Unhöflichkeit bedeutet, sondern eine neurologische Erkrankung darstellt.

MeinMMO: „Christian, kannst du uns von einer speziellen Situation erzählen, in der dein Tourette in Destiny 2 besonders herausfordernd war und wie die Gruppen und Teams darauf reagiert haben?“

Wenn man in Destiny zusammen in Raids, Dungeons oder anderen herausfordernden Aktivitäten ist, dann empfinden viele meine Tics als störend. So war ich beispielsweise mit einer LFG-Gruppe in einem Raid, ich hatte natürlich vorher nochmals daran erinnert, dass ich vokale Tics mit teils unangenehmen Äußerungen habe. Alle sagten, es sei in Ordnung. Als wir dann im Raid waren und dieser durch mein Tourette etwas länger dauerte, bis wir den Boss legen konnten, wurde ich aus dem Team geworfen. Zum Glück landete der Boss Loot in der Poststelle. Das war aber leider nicht die einzige Situation, wo es mir in Destiny im Umgang mit anderen Spielern so erging.

berichtet uns Christian

MeinMMO: „Warum glaubst du, dass manche Destiny-Spieler, obwohl sie von Anfang an wissen, dass du Tourette hast, langfristig trotzdem nicht damit umgehen können?“

Christian: „Wenn Aussagen kommen die sich speziell mit den Jahren 1930 bis 1945 befassen, mit Religionen zu tun haben oder auch eher harmlose Aussagen, wie zum Beispiel wenn jemand in einer Sprungphase stirbt und mein Tourette dann sagt „Du Anfänger“, dann wird das leider trotzdem schnell als persönlicher Angriff verstanden. Da ist es einfacher, die Ignore-Taste im übertragenen Sinn zu drücken.“

MeinMMO: „Stimmt es, dass du Einfluss auf dein Tourette hast? Mancher würde dir vielleicht vorschlagen, dass du es einfach unterdrückst, solange du zockst und dann ja auch keine Probleme mehr in Destiny 2 hast.“

Christian: „Ja, eine Zeit lang kann ich meine Tics sicher unterdrücken. Aber irgendwann stauen sich die Tics so an, dass es mir nicht mehr möglich ist. Dann ist es so extrem, dass die Tics wie eine Explosion aus mir rauskommen. Das kann dann auch mal 1-2 Minuten konstant anhalten. Es gibt zwar Medikamente gegen das Tourette-Syndrom, aber diese sind immer noch im Versuchsstadium und haben bei mir teils heftige Nebenwirkungen, sodass ich nicht darauf zurückgreifen will. Dann ticke ich lieber etwas.

Viele sind anfangs tolerant – aber nach ein paar Tics fühlen sie sich doch persönlich angegriffen.

Destiny 2-Spieler sind manchmal toxischer als Tourette

Beleidigungen werden nicht geduldet – auch unbeabsichtigte: Destiny 2 setzt klare Grenzen für verbale Aussetzer, wie wir vor kurzem berichteten. Spieler, die beispielsweise im PvP durch beleidigende Nachrichten auffallen, riskieren einen dauerhaften Bann.

Am Beispiel von Christian wird jedoch auch das Dilemma zwischen der Notwendigkeit, die Spielumgebung von toxischem Verhalten zu befreien, und dem Verständnis für die unkontrollierbaren Tics von Menschen mit Tourette deutlich.

Bungie will, dass sich jeder in Destiny 2 willkommen fühlt – auch Spieler mit Einschränkungen. Deswegen wertet der Entwickler immer das „gesamte Gameplay und Verhalten [eines Spielers] auf Verstöße aus“. Wir wollten daher von Christian wissen, ob er diesbezüglich schon Berührungspunkte mit Bungie hatte, wo er vielleicht wegen seines Tourette von anderen Spielern gemeldet wurde.

Christian: „Ja, das ist immer möglich. Leider muss ich tatsächlich jederzeit mit einem Bann rechnen. Im Spiel „World of Tanks“ wurde ich 2020 zum Beispiel wegen meinem Tourette einmal mit einem 7 Tage Bann belegt.

Ich habe dem natürlich umgehend widersprochen aber der Entwickler Wargaming teilte mir mit das man da keinen Unterschied macht, ob eine Beleidigung krankheitsbedingt oder einfach toxisches Verhalten ist. Leider. Mit Bungie hatte ich jedoch bisher noch keinen „Konflikt“ deswegen.

Nach einem Bann kann Christian sein Tourette zwar nachweise, es ändert jedoch oft nichts.
MeinMMO hat bei Bungie nachgefragt, wie der Destiny-Entwickler in solchen Fällen handelt, damit in Zukunft Spieler mit Erkankrung vielleicht keine Angst mehr um ihren Account haben müssen. Sollten wir weitere Informationen erhalten, werden wir diese im Artikel ergänzen.

Spieler sollten toleranter werden: Christians größtes Problem neben der Angst, gebannt zu werden, ist jedoch nach wie vor die Akzeptanz in der Destiny 2-Community.

Wenn Spieler mit Tourette kommentarlos aus Clans oder Aktivitäten ausgeschlossen werden, führt das nicht nur zu sozialer Ausgrenzung, sondern verstärkt auch das Missverständnis und die Stigmatisierung derjenigen, die unter dieser neurologischen Störung leiden.

Das ist eine Erfahrung die sicher nicht nur Christian gemacht hat. Nur will er sich damit nicht weiter abfinden, sondern hat beschlossen, aufzuklären. Besonders weil er gerne Destiny 2 im Team spielt und sich nicht durch seine Erkrankung zusätzliche Einschränkungen auferlegen möchte.

MeinMMO: „Glaubst du, dass Aufklärung und Bewusstseinsbildung über Tourette innerhalb der Gaming-Community von Destiny 2 dazu beitragen könnten, Vorurteile abzubauen und ein tolerantes Umfeld zu schaffen?“

Christian: „Absolut! Ich hoffe auch, dass durch meinen Versuch auch andere dadurch mehr Wertschätzung und Akzeptanz bekommen. Insbesondere sollten Plattformanbieter und Entwickler nicht alles pauschal als Toxizität behandeln und sofort sanktionieren.

Ich werde ja nicht nur aus Spielen gebannt. Auch auf der Xbox war ich schon wegen meines Tourette 10 Wochen gebannt, weil sich Leute beleidigt fühlten. Ich finde daher schon lange es sollte für alle gleichermaßen gelten, dass man sich bei sowas auch erklären kann. Ich mache das nicht mit Absicht.

In meinem Fall habe ich immer meine Diagnose dabei, um mein seltsames Verhalten zu erklären. Das gilt auch in der realen Welt. Mein Kobold wird zum Beispiel durch die Polizei sehr getriggert und dann ist die Koprolalie wie ein Wasserfall. Ich bin es also gewohnt, mich zu erklären, aber ich wünschte, es wäre einfacher, vor allem bei Gaming-Plattformen und Entwicklern.“

Miteinander zu lachen und nicht alles so ernst zu nehmen, erleichtert vielen Betroffenen den Umgang mit ihrem Tourette-Syndrom.

Gute Kommunikation ist das A und O

Mit Humor ist vieles leichter: Natürlich sollte bei einer Tourette-Erkrankung das Verständnis und der Respekt für die Betroffenen im Vordergrund stehen. Schließlich handelt es sich nicht um eine bewusste Entscheidung oder die Absicht, andere permanent zu beleidigen.

Als wir mit Christian gezockt haben merkte beispielsweise ein Teammate an, dass er bei den Kills und den erzeugten Sphären ja mächtig abstinkt. Woraufhin Christians Tourette mit „Dann benutz doch ein Deo!“ antwortete. Nur eine von vielen lustigen Situationen in der wir Christian kennen lernen durften.

Wir konnten also selbst die Erfahrung machen, dass „sein persönlicher Kobold“, wie Christian sein Tourette-Syndrom nennt, zwar oft beleidigend oder rassistisch ist, aber ebenso witzig sein kann. Bei allen Lachern darf man jedoch nicht vergessen, dass Tourette für viele Betroffene trotzdem eine wahre Hölle ist.

MeinMMO: „Wie siehst du das Christian? Wie wäre dein Wunsch, dass andere mit dir und den Tics umgehen? Hast du ein Problem, wenn man über dein Tourette lacht und damit ja indirekt über dich? Oder bist du da ganz locker?“

Christian: „Nein, ich finde man soll humor- und respektvoll mit dem Tourette und mir umgehen, also mit anderen Worten: Mit mir darüber lachen. Allerdings muss auch gesagt werden, das jeder Mensch verschieden ist und anders mit seinem Tourette-Syndrom umgeht. Ich kann daher nur für mich sprechen. Aber gute Kommunikation ist immer das A und O.“

Auch andere an Tourette Erkrankte machen auf ihre Situation öffentlich aufmerksam:

Twitch-Streamerin repräsentiert Menschen mit Tourette vor 350.000 Zuschauern – Viele bewundern ihren Mut

MeinMMO: „Für unsere Leser ist sicher noch die Frage interessant, wie es mit dem Tourette-Syndrom im Alltag ist und wie es dein Leben beeinflusst?“

Christian: „Mein Alltag ist in der Tat besonders. Das schlimmste Beispiel sind meine Terrortics. Sie machen es notwendig, sich an vielen Orten des öffentlichen Lebens vorher anzumelden. Besonders an Flughäfen oder bei der Bahn ist das notwendig und bedeutet zudem einen erheblichen zeitlichen Aufwand. Diese Notwendigkeit unterstreicht die zusätzlichen Hürden, mit denen Menschen wie ich mit Tourette im Alltag konfrontiert sind. Darüber hinaus geht es oft mit dem Gefühl einher, beobachtet und angestarrt zu werden, was die soziale Interaktion weiter beeinträchtigen kann.

Ich wurde auch schon einmal wegen meines Tourette von der Polizei in Gewahrsam genommen – also es ist nicht immer leicht und man macht wirklich viele unangemehme Erfahrungen. Ich musste damals auch sehr lange warten, bis die Staatsanwaltschaft mir meine Freiheit wieder zurückgegeben hat.”

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MeinMMO: „Gibt es noch etwas, dass du unseren Lesern oder Entwicklern mitteilen möchtest?“

Christian: „Ich hoffe anderen Mut zu machen und wünsche weiterhin viel Spaß mit Destiny 2 oder auch anderen Spielen. Wichtig ist: Redet miteinander, es kann nur helfen. Wer Fragen hat oder Hilfe benötigt, kann sich sehr gerne hier auf MeinMMO in den Kommentaren melden.

Und ich habe in der Tat auch eine dringende Bitte an die Entwickler: Gebt den Betroffenen die Möglichkeit, ihre Diagnose, ein Attest oder Ähnliches vorzulegen/ hochzuladen. Das würde zum einen Trittbrettfahrern vorbeugen und mir helfen, mich ohne Angst vor einem Bann in einem Game zu bewegen. Ohne dies ist meine Zeit- und finanzielle Investition in ein Spiel jederzeit von einem potenziellen Ausschluss bedroht.”

Vielen Dank Christian. Wir möchten uns herzlich für das Gespräch und deine Zeit bedanken und ermutigen jeden dazu, sich trotz allem auf die Herausforderungen im Gaming und auch in Destiny 2 einzulassen. Auch wenn es nicht immer einfach ist, ist es in der heutigen Zeit umso wichtiger, im Umgang miteinander insgesamt wieder offener und verständnisvoller zu werden.

Habt ihr Erfahrungen mit Toleranz oder Intoleranz in der Gaming-Community gemacht, besonders im Zusammenhang mit dem Tourette-Syndrom? Oder seid ihr vielleicht selbst betroffen? Dann teilt gerne auch eure Erfahrungen in den Kommentaren. Fragen an Christian sind natürlich ebenso willkommen.

In der kommenden Season 23 wird auch Christian wieder mit dabei sein, auch wenn da ein paar Nerfs auf ihn warten:

Name von der Redaktion geändert. Der echte Name ist der Redaktion bekannt.

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