Nicht Activision hat das „gute, alte Blizzard“ auf dem Gewissen, sondern der Erfolg von WoW

Mit der Meilenstein-Schmiede, die einst Diablo, Warcraft und Starcraft erfand, hat das Blizzard aus dem Jahr 2024 nichts mehr zu tun. Doch wer hat Schuld an diesem Wandel? Viele Fans zeigen auf Activision. Die Hauptverantwortung liegt jedoch beim erfolgreichsten MMORPG der Videospiele-Geschichte.

Kennt ihr den Spruch „Wo Blizzard draufsteht, ist Blizzard drin!“? Nach dem desaströsen Warcraft 3 Reforged, der virtuellen Monetarisierungshölle Diablo Immortal und durchwachsenen WoW-Erweiterungen wie Battle for Azeroth mag man es kaum glauben, doch gab es tatsächlich eine Zeit, in der das Logo von Blizzard Entertainment für Qualität stand.

Mit Warcraft, Diablo und Starcraft hatten die Kalifornier schließlich drei der bekanntesten Marken der Videospiele-Geschichte und darüber hinaus gleich mehrere gefeierte Spiele mit Meilenstein-Status erschaffen. Doch ist das lange her.

Heute verbindet man Blizzard vor allem mit stark monetarisierten Service-Games und einigen der größten Skandale der Spiele-Industrie. Für viele Spieler scheint klar: Activision ist verantwortlich für diesen Wandel! Schließlich geht’s seit der Fusion zu Activision Blizzard im Juli 2008 bergab. In unserer Analyse zeigen wir euch, dass der entscheidende Wendepunkt aber bereits deutlich früher zu finden ist.

Stolz präsentiert das kleine Blizzard-Team Anfang der 1990er das neue Spiel: The Lost Vikings.

Wie groß war der Einfluss von Activision auf Blizzard?

Halten wir zuerst einmal fest: Als aus Activision und Blizzard im Zuge der Fusion mit Vivendi Games die neue Holding Company Activision Blizzard geschaffen wurde, besaß Vivendi weiterhin die Mehrheitsrechte. Activisions CEO Bobby Kotick übernahm über fast alle Bereiche die Leitung, einzig Blizzard bekam eine Sonderrolle spendiert und durfte Spiele unabhängig entwickeln und über Vivendi auf den Markt bringen.

Dieses Machtgefüge verschob sich erst in den Jahren 2013 bis 2016, weil Vivendi sukzessive die eigenen Anteile zu Geld machte. Und wer war der Käufer? Na klar, Bobby Kotick beziehungsweise Activision. Dadurch stand Blizzard acht Jahre nach der Fusion dann doch vollständig unter dem Pantoffel des Publishers.

Doch war der Einfluss ab diesem Moment sofort spürbar? Mit Jay Wilson (Game Director von Diablo 3; war bis 2016 bei Blizzard) gibt’s zumindest einen Insider, der davon im Zuge eines Panels während der Retro Gaming Expo in Portland berichtet hat (via Youtube). Der Einfluss soll anfangs jedoch kaum spürbar gewesen sein und sich auf einzelne Bereiche begrenzt haben.

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Wilson berichtet etwa von Meetings, die von Activision angesetzt wurden, in denen es darum ging, wie man mehr Geld mit Heroes of the Storm machen kann. Das MOBA besaß zwar viele der typischen Blizzard-Stärken (geringe Einstiegshürde, gute Les- und Spielbarkeit, hoher Feinschliff), doch konnte es sich nicht gegen die etablierte, übermächtige Konkurrenz aus League of Legends oder DOTA 2 durchsetzen.

Auch bei der Konzeptionsphase von Diablo Immortal soll sich Activision laut Wilson eingebracht haben. Der Publisher wollte unbedingt ein Diablo mit Free2Play-Bezahlmodell.

2018 als Scheidejahr: Sparen, sparen, sparen!

In einem Kotaku-Artikel von Investigativ-Journalist Jason Schreier aus dem November 2018 heißt es hingegen (basierend auf elf anonymen Quellen), dass sich erst 2018 die Kultur bei Blizzard durch den zunehmenden Einfluss von Activision spürbar gewandelt haben soll.

Statt “It’s done when it’s done” (ein altes Blizzard-Motto: Spiele werden erst veröffentlicht, wenn sie fertig sind und die eigenen Qualitätsansprüche erfüllen) galt es, Kosten zu senken und die Zahl der Veröffentlichungen pro Jahr zu erhöhen.

Der Grund: Ab dem dritten Quartal 2017 sank die Zahl der monatlich aktiven Spieler bei Blizzard drastisch (von 47 Millionen MAUs im 2. Quartal auf 22 Millionen MAUs im 1. Quartal 2022). Es gab kaum Releases. Neuerscheinungen wie Destiny 2 blieben hinter den Erwartungen zurück.

Zudem half es sicherlich nicht, dass Blizzards Mitgründer und CEO Mike Morhaime im Oktober 2018 seinen Hut nahm. Sein Nachfolger, J. Allen Brack, war nur noch Präsident und agierte damit nicht mehr auf Augenhöhe von CEO Bobby Kotick.

Bestätigt wurden diese Berichte bereits im Dezember 2018 durch einen weiteren Insider-Bericht von Jason Schreier für Kotaku. In diesem berichten die Quellen, dass viele der strategischen Entscheidungen seit 2018 von der Finanzabteilung getroffen werden (die in den Jahren vorher noch kein Mitspracherecht gehabt haben soll). Zu den Opfern des Sparkurses gehören der Esports-Bereich von Heroes of the Storm (mit der Einstellung der Storm Global Championship im Dezember 2018) sowie das viel zu früh veröffentlichte Warcraft 3 Reforged (laut eines Bloomberg-Berichts aus dem Juli 2021 soll Activision auf den frühzeitigen Release und die Streichung diverser Features gepocht haben).

Auf Blizzards eigenem Mist gewachsen

Es gab diversen Berichten zufolge also ziemlich sicher einen negativen Einfluss von Activision auf Blizzard, flächendeckend jedoch wohl erst ab 2018. Bis dahin hatten die Blizzard-Verantwortlichen ihre weiße Weste aus den ersten zehn Jahren aber bereits mit einigen Flecken beschmutzt. Hier ein Best-of der Blizzard-Fails bis 2016:

Cataclysm (Release im Dezember 2010) ist die erste WoW-Erweiterung, die von großen Teilen der Community lautstark kritisiert wird und bis heute zu den unbeliebtesten Erweiterungen der WoW-Geschichte gehört.

Im Juli 2010 möchte Blizzard einführen, dass man im Forum nur noch unter seinem Real-ID-Klarnahmen kommentieren darf. Nach einem kurzen, aber heftigen Shitstorm nahmen die Entscheider diesen Plan wieder zurück.

Diablo 3 sorgt beim Launch für negative Schlagzeilen – „dank“ Online-Zwang, Server-Problemen und Echtgeldhandel im Auktionshaus.

Blizzard verschläft die Rechte-Sicherung von DOTA. Valve ist schneller. Aus Blizzard DOTA muss Heroes of the Storm werden. Die Entwicklung des vergleichbar kleinen Titels dauert mindestens fünf Jahre.

Im September 2014 stellt Blizzard die Entwicklung von Titan ein. Durch die frühe Ankündigung im Jahr 2008 und die vollmundigen Versprechungen einiger Entwickler fühlt sich diese vorzeitige Einstellung für das involvierte Team sehr viel mehr nach einem Fehlschlag an, als es bei einem Warcraft-Adventure oder einem Starcraft Ghost der Fall gewesen ist.

Die WoW-Erweiterung Warlords of Draenor startet im November 2014 mit ordentlich Potenzial, leidet dann aber unter den enormen Content-Löchern und dem vielleicht schlechtesten Inhalts-Patch der WoW-Geschichte (Patch 6.1 hatte Highlights wie die Selfie-Kamera, Twitter-Integration oder die neuen Charaktermodelle für Blutelfen im Gepäck).

2015 führt Blizzard in der europäischen Version von World of Warcraft die WoW-Marke und damit den offiziellen Echtgeldhandel ein.

Im Jahr 2016 erfüllen die Blizzard-Entwickler zwar einen oft genannten Wunsch aus der Community, doch hätte die Umsetzung kaum liebloser ausfallen können: Das erste Diablo bekommt eine Neuauflage spendiert, als simples Retro-Event in Diablo 3.

Während der WotLK-Erweiterung feierte WoW den größten Erfolg.

Tatverdächtiger Nummer 1: World of Warcraft

Spulen wir noch einmal einige Jahre zurück. Es gab nämlich bereits vor 2008 (und der Fusion zu Activision Blizzard) zwei wichtige Termine, die sich fundamental auf Blizzard als Unternehmen ausgewirkt haben: der 23. November 2004 sowie der 11. Februar 2005. Ihr kennt die Daten sicherlich.

Mit der Veröffentlichung von World of Warcraft hat sich alles verändert. Für viele Spieler, für die Branche und natürlich auch für Blizzard selbst. In der Spitze zockten zwölf Millionen Abonnenten das enorm erfolgreiche Online-Rollenspiel (während der WotLK-Erweiterung, ab Oktober 2010). Und was tun mit all dem Geld? Wie so oft war auch die Antwort von Blizzard: wachsen!

Bestand das Unternehmen vor dem WoW-Launch noch aus weniger als 500 Angestellten, stieg die Zahl der Mitarbeiter bis 2009 auf etwa 4.600. Dass ein derart schnelles Wachstum zu großen Problemen führt, die sogar ganze Unternehmen unter sich begraben können, zeigen Beispiele wie Westwood und Bullfrog.

Bei Blizzard passierten vor allem zwei Dinge: Zum Ersten soll sich die Unternehmenskultur spürbar verändert haben, was aber erst im Zuge des großen Sexismus-Skandals aus 2021 ans Licht kam. Laut eines Berichts von Jason Schreier für Bloomberg aus dem August 2021 wurden die Top-Entwickler aufgrund des Erfolgs von WoW wie Rockstars behandelt, wodurch sie für Beschwerden unantastbar waren.

Daraus soll sich bei Blizzard dann eine sogenannte „Frat Boy Culture“ entwickelt haben (vergleichbar wie bei Ubisoft): Männliche Mitarbeiter sammelten sich bei der Arbeit zum Beispiel zum Alkohol trinken, nur um dann die Arbeitsplätze weiblicher Mitarbeiter abzugrasen und diese anzubaggern.

Zum Zweiten richtete sich der Fokus von Blizzard nach 2004 klar auf World of Warcraft. Waren davor seit 1994 fast jedes Jahr Blizzard-Spiele für diverse Franchises erschienen, fand zwischen 2004 und 2009 nur noch WoW statt.

Das Himmelsross-Mount brachte mehr Geld ein als Starcraft 2: Wings of Liberty zum Launch.

Starcraft 2 war im Jahr 2010 dann zwar wieder ein Blizzard-Spiel der „alten Schule“, das einen eigentlich guten Start hinlegen konnnte, doch verriet der ehemalige Blizzard-Entwickler Jason Hall im November 2023 auf Twitch, warum das Team trotz guter Verkaufszahlen geknickt war: Das kurz zuvor veröffentlichte und erste kostenpflichtige Himmelsross-Reittier für World of Warcraft brachte mehr Geld ein als Starcraft 2: Wings of Liberty.

Solche Erfahrungen sowie der enorme Erfolg von WoW erklären zu einem Teil, warum Blizzard sukzessive in die Games-as-a-Service-Richtung abgebogen ist. Der andere Teil lässt sich auf die stets verändernden Marktrealitäten herunterbrechen. Dazu gehört es, dass die Entwicklung von Spielen immer teurer wird, aber auch, dass Erfolg auf dem Aktienmarkt verpflichtet. Nach WoW musste sich Blizzard mit genau diesem Erfolg messen lassen, und die eigene Unternehmensstrategie entsprechend anpassen.

All diese Faktoren in Kombination, ausgelöst durch World of Warcraft, sorgten dafür, dass der „Konzern Blizzard“ – mit seinen tausenden Angestellten, dem Service-Fokus und einer in Teilen toxischen Kultur – bereits deutlich vor der Einflussnahme durch Activision kaum noch etwas mit dem „guten, alten“ Blizzard zu tun hatte.

Johanna Faries ist seit Februar 2024 die neue Blizzard-Präsidentin.

Es gibt keinen Weg zurück, aber …

Die schlechte Nachricht: Es gibt für das Unternehmen keinen Weg zurück. Das „gute, alte Blizzard“ wird es nie wieder geben. Zum einen, weil bei Blizzard mittlerweile sogar deutlich mehr als 6.000 Menschen arbeiten dürften. Der Fokus wird daher weiterhin auf Service- und Mobile-Games liegen, die sich umfassend monetarisieren lassen.

Zum anderen ist von den Veteranen kaum noch jemand an Bord. Statt den Blizzard-Gründern Mike Morhaime, Allen Adham und Frank Pearce geben Johanna Farie (ehemals Activision), Rod Fergusson (ehemals The Coalition), Holly Longdale (ehemals Daybreak) und andere die Richtung vor. Von den altgedienten Blizzard-Veteranen sind nur noch wenige am Start. Chris Metzen zum Beispiel, Aaron Keller, Wyatt Cheng oder Tom Chilton.

Die Liste der ehemaligen, langjährigen Blizzard-Entwickler liest sich indes deutlich länger. Zuletzt erst kam heraus, dass Marc Messenger im Januar 2024 das Unternehmen verlassen hat (via Reddit). Der war unter anderem beim fantastischen Intro-Cinematic von WoW: Legion federführend.

Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Als Teil von Microsoft hat Blizzard jetzt die Möglichkeit, abseits des Kern-Portfolios auch Projekte ohne Service-Modell umzusetzen, die gut zum Xbox Game Pass passen. Kleine Perlen wie Hi-Fi Rush von Tango Gameworks oder auch Pentiment von Obsidian belegen das. Hättet ihr auch Lust auf ein neues Spiel mit Story-Fokus im Starcraft-Universum?

Ihr sucht weiteren Lesestoff zu Blizzard unter Team Xbox? Schaut hier mal rein: Blizzard wollte frei von Activision sein – Aber Microsoft lässt das nicht zu

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