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Vor nicht allzu langer Zeit tauchte der Begriff ”Walking Simulator” in der Welt der Videospiele auf, obwohl vereinzelte Projekte mit ähnlichem Konzept schon vor Jahrzehnten existierten. Besonders eng verbunden ist dabei ein Name mit der ”Geburt” des Subgenres: Dear Esther wurde 2012 veröffentlicht und ermöglichte es Spielern, eine Insel vor der schottischen Küste zu Fuß zu erkunden, ohne viel Interaktion zu bieten. Dieses Konzept war gleichermaßen ungewöhnlich und innovativ.
Entstanden ist die Pionierarbeit beim englischen Entwicklerstudio The Chinese Room, das danach unter anderem Everybody’s Gone to the Rapture und zuletzt das schrullige Kosmonauten-Märchen Little Orpheus produzierte und nun mit Still Wakes the Deep mehr oder weniger zu seinen Ursprüngen zurückkehrt. Denn auch das spielt wieder vor der schottischen Küste – diesmal auf einer Bohrinsel Mitte der 1970er – und ist ein ”klassischer” Walking Simulator. Was heißt: Ihr erkundet den Schauplatz aus der Ego-Perspektive und werdet einen vorgesehenen Weg entlang geleitet. Gelbe Markierungen (nach einem Patch auf Wunsch abschaltbar) sorgen dafür, dass Ihr Euch nicht verlauft und erwecken zugleich die Illusion, dass Ihr das überhaupt könntet – in der Regel geht es aber doch fast immer linear voran. Interagiert wird nur an vorgegebenen Stellen per Knopfdruck, selbst halb geöffnete Türen bewegen sich nicht, bevor Ihr die eingeblendete Taste drückt; auch Rätsel im konventionellen Sinn gibt es keine (”Betätige einen Schalter” ist das Maximum). Ein wenig freier geht es nur bei Sprüngen sowie Schwimm- und Schleichabschnitten zu. Letztere erwarten Euch im späteren Verlauf, nachdem ein Unglück paranormale Folgen hat und Teile der Besatzung verwandelt werden. Mehr als diesen vagen Hinweis zur Handlung verkneifen wir uns, ist sie unterm Strich doch der elementare (und eigentlich einzige) Grund, Still Wakes the Deep zu erleben. Leider ist sie nicht so packend, als dass man das Abenteuer als Pflichterlebnis statt ”Kann man mitnehmen” kategorisieren müsste.
Meinung
Ulrich Steppberger meint: An Walking Simulatoren sollte man natürlich keine großen Ansprüche in puncto spielerische Innovation stellen, aber ganz stehen geblieben ist die Zeit in dem Genre auch nicht – bei The Chinese Room dagegen wohl schon. In Sachen audiovisueller Inszenierung und Detailverliebtheit gibt es nicht viel zu meckern, aber der Rest fühlt sich entweder altbacken an oder hat mich eher genervt wie bei den Schleich- und vor allem Schwimmeinlagen. Die typische strenge Linearität wird dummerweise nicht groß aufgewogen: Die Story ist vorhersehbar, ohne Twists und erklärt letztlich nichts, die Charaktere sind irrelevant oder unsympathisch – davon wird mir nichts im Gedächtnis bleiben.
Steffen Heller meint: Ich kann Ulrich in allen Kritikpunkten nur beipflichten. Doch die gelungene audiovisuelle Präsentation und die ”gelbe Linearität” haben dafür gesorgt, dass ich das Abenteuer ohne Frust, Langeweile oder zu viele atmosphäreraubende Neuversuche konsumiert habe. Gleichzeitig dachte ich beim Spielen oft, dass mir interessante Gespräche der Marke Firewatch oder eine spannende Geschichte mit erinnerungswürdigen Momenten wie in Soma fehlen. Während mir Everybody’s Gone to the Rapture dank seines außergewöhnlichen Schauplatzes trotz seiner Schwächen in Erinnerung bleiben wird, werde ich den Ausflug auf die Ölplattform schnell verdrängt haben.
Wertung
verzichtet nahezu gänzlich auf Rätsel
ein paar Schleichpassagen
keine Sammelobjekte oder Ähnliches
Walking Simulator der ganz
alten Schule mit gelungener Inszenierung, aber nur leidlich interessanter Story und Charakteren.
Singleplayer66MultiplayerGrafikSound
