The Orange Box – im Klassik-Test (360)

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Spiel:Half-Life 2: The Orange BoxPublisher:Electronic ArtsDeveloper:ValveGenre:Ego-ShooterGetestet für:360Erhältlich für:360, PS3USK:18Erschienen in:11 / 2007

Wie im realen Leben gibt es in der Karriere eines Video­spielers prägende Momente: Die ­erste Konsole, das erste Game, der erste High Score, der erste Wall Jump in Super Mario 64 oder das startende Level-9-Space-Shuttle in ­Tetris – jeder hat seine persönlichen Favoriten, die sich für immer ins Gedächtnis gebrannt haben.

Einer meiner ’Magic Moments’ stammt aus dem Ego-Shooter Half-Life 2. Vor einem Regierungsgebäude tobt ein ungleicher Kampf: Mehrere Strider (außerirdische Kanonen auf drei riesigen Spinnenbeinen) müssen von meinem Alter Ego, dem Wissenschaftler Gordon Freeman, mit Waffengewalt erledigt werden. Der Austragungsort: ein weitläufiger, verwüsteter Platz mit teilweise zugänglichem Kanalsystem. Die Schlacht ist fast vorüber, nur noch ein Strider stapft auf der Suche nach mir donnernd über das Gelände. Meine Taktik, mich von hinten anzuschleichen und mit zielsuchenden Raketen zuzuschlagen, scheint aufzugehen. Wieder löst sich zischend eine Lenkwaffe aus dem Lauf, ein dumpfer Schlag, ein seltsam metallisches Kreischen – Treffer!

Doch das Biest hält sich weiterhin auf den Beinen. Seine riesige Energiekanone dreht sich, nimmt mich ins Visier und feuert rasend schnelle Projektile ab. Ich drücke den Sprint-Button und nehme die Beine in die Hand. Um mich herum scheppert es in feinstem ­Surround-Sound, leider zielt das Spinnenvieh verdammt gut – ich brauche frische Munition und Lebensenergie, eine neue Strategie muss her. Also ab in den Graben und rein ins sichere Abwasserrohr! Ich nutze die Verschnaufpause, um mir das Schlachtfeld in Erinnerung zu rufen: Wo waren noch mal Medi Packs und Kisten mit Raketen? Während ich grüble, donnern über mir die Schritte des Striders. Plötzlich Stille. Was ist passiert? Verunsichert gucke ich mich in der Röhre um… und sehe ein dünnes Bein, wie es abknickt.

Was geht da vor sich? Auf einmal verdunkelt der eiförmige Körper den Zugang zum Rohr – das verdammte Ding sucht nach mir, im Kanal! Perplex schaue ich mir an, wie sich die Strider-Kanone dreht, zu strahlen beginnt und mir das virtuelle Leben auspustet – scheinbar gut versteckt im Abwasserrohr. Fantastisch, meine Augen leuchten. Das nenne ich künstliche Intelligenz, die in Jahren gelernten Spielmuster gelten hier nicht mehr. Bei Half-Life 2 muss man stets mit dem Undenkbaren rechnen. Lektion gelernt und mit noch mehr Begeisterung weitergespielt.

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Mit ähnlichen Momenten ließe sich problemlos dieser Test füllen, nicht umsonst gilt Gordon Freemans Wider­standskampf als Videospiel-Meilenstein. Und um es vorweg zu nehmen: Half-Life 2 ist auch fast drei Jahre nach seiner Veröffentlichung auf dem PC noch der Genrekönig. Aber die Orange Box beinhaltet nicht nur den Ego-Shooter-Klassiker in HD-Optik: Die je gut fünf Stunden dauernden Erweiterungen Episode One und Episode Two spinnen die spannende Geschichte gelungen weiter und lassen neue Kreaturen auf den Spieler los. Portal ist ein überaus intelligenter Puzzle-Shooter mit Suchtfaktor und Team Fortress 2 eine charmant-überzeichnete Multiplayer-Ballerei.

Alles in allem ein exzellentes Paket mit gut 35 Stunden Solo-Spaß und langfristig motivierendem Mehrspieler-Part. Für Leser mit Faible für Action-Games ist damit alles gesagt: Vorbestellen, ab Mitte Oktober in die atmosphärischen Welten abtauchen und ab hier aufhören zu lesen – die Spiele leben schließlich von ihren Überraschungen. Zweifler finden im Folgenden weitere Kaufargumente sowie die wichtigsten Details zu den einzelnen Titeln.

Half-Life 2

Wissenschaftler Gordon Freeman hat es nicht leicht: Im ersten Half-Life (PC, PS2) musste er gegen außerirdische Kreaturen antreten, die bei einem Experiment durch ein Portal in unsere Welt gelangten. Im zweiten Teil hat er nicht nur Aliens am Hals, sondern auch ein totalitäres Militärregime in der abgeschotteten City 17. Unterstützt von mutigen Rebellen und der hübschen Alyx zieht Gordon los gen Zentrum der Stadt, einem hunderte Meter in den Himmel ragenden Turm. Was in den folgenden knapp 20 Spielstunden über den Bildschirm flimmert, ist eine in allen Belangen überzeugende Mixtur aus packenden Shoot­outs mit äußerst cleveren Gegnern und kniffligen Puzzles basierend auf einer einzigartigen Physik-Engine – garniert mit einer feinen, flüssigen Optik.

Mit den genreüblichen Waffen wie Shotgun, MG und Raketenwerfer kämpft Ihr gegen humanoide Feinde und extraterrestrische Lebensformen. Kalter Ego-Shooter-Kaffee, mag der ein oder andere jetzt denken. Aber das Besondere an Half-Life 2 ist die Gravitiy Gun: Mit dieser Knarre hebt Ihr die Schwerkraft auf und lasst auf Knopfdruck Gegenstände vor Euch schweben oder feuert sie durch die Gegend.

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Das Spiel gibt Euch dabei fast jede erdenkliche Freiheit. Drei Beispiele: 1. ’Saugt’ ein Sägeblatt an und schleudert es horizontal in Gegner. Durch die Wucht werden sie zweigeteilt und ausgeschaltet. 2. Packt damit Kisten und stapelt sie auf einer Wippe. Ihr Gewicht stabilisiert das Konstrukt, Ihr könnt über die Wippe eine höher gelegene Ebene erreichen. 3. Schießt mit der Gun auf Holzbalken, die den Weg versperren – sie werden zerbröseln. Experimentierfreudige Gamer haben mit diesem Allzweckwerkzeug einen Heidenspaß, die bereits erwähnte exzellente Physik-Engine des Spiels macht’s möglich.
Zweiter herausragender Aspekt sind die Fights mit den intelligenten Feinden. Humanoide liefern Euch packende Häuserkämpfe, gehen in Deckung, werfen clever Granaten und laufen nie herum wie dummes Kanonenfutter. Die außerirdischen Widersacher wie Ameisenlöwen und Strider hingegen stellen zähe und flinke beziehungsweise feuerkräftige Spielkameraden dar. Die Mischung aus flotten Schießereien und taktischen Duellen ist hervorragend gelungen.

Drittes Highlight: die Grafik. Half-Life 2 bietet abwechslungsreiche Schauplätze wie Güterbahnhof, Gruseldorf und High-Tech-Labor, die alle nur so vor Details strotzen. Die HD-Optik der Xbox-360-Fassung braucht sich hinter der PC-Version nicht zu verstecken – endlich dürft Ihr hochauflösende und nahezu ruckelfreie Landschaften genießen. Dabei besitzt Valves Ego-Shooter weder die besten Texturen noch die aufwändigsten Polygon-Modelle. Aber der Gesamteindruck stimmt, nur wenige Spiele vermitteln Euch eine solch glaubhafte Welt. Selbst Grafikfetischisten haben hier keinen Grund zu klagen. Zudem halten sich Nachladepausen in erfreulichen Grenzen.

Viertens: Der (Surround-)Sound besitzt Referenz-Charakter. Ob vom Hubschrauber abgeworfene wummernde Granaten, fauchende Shotguns oder surrende Flugroboter – die Akustik ist schlichtweg atemberaubend, auf einem Niveau mit Take 2s Unterwasser-Epos BioShock.

Last but not least: Story und Spielaufbau. Half-Life 2 läuft linear ab, die meisten Ereignisse und Zwischensequenzen sind gescriptet, also vorherbestimmt. Aber keine Sorge: Die Entwickler integrierten die Scripts makellos in den Spielablauf, sie sorgen immer wieder für Überraschungen und halten die Spannung aufrecht. Besonders gegen Ende hin steigen Tempo und Spannung kontinuierlich an. Lediglich das Finale lässt einige Fragen offen…

Episode One & Two

…die zum Teil in den beiden Zusatz­episoden beantwortet werden. In der ersten heißt es zurückkehren in den kollabierenden Turm und den Energie­kern stabilisieren. Eure Begleiterin Alyx steht Euch erneut tatkräftig zur Seite und hilft mit Tipps sowie Feuerunterstützung aus. Die meiste Zeit verbringt Ihr in Gebäuden oder Gewölben – hier fehlt es an Abwechslung. Überhaupt ist Epi­sode One der Durchhänger des exzellenten Shooter-Pakets.

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Habt Ihr Euch aber durchgebissen, folgt mit Episode Two ein Meisterstück der Ego-Shooter-Kunst mit einem fulminanten Endkampf und einem herrlich fiesen Cliffhanger-Ende. Meist seid Ihr draußen in grandios modellierten Landschaften unterwegs, ein neuer Gegner-Typ – die Hunter – heizt Euch ordentlich ein und verlangt gekonnten Umgang mit dem Pad. Die zweibeinigen Kreaturen brechen schon mal durch Wände und feuern einen Granatenhagel ab – definitiv eine Bereicherung der Feindpalette!

Portal

Wer genug hat von nervenaufreibenden Ballereien, trainiert mit Portal seine grauen Gehirnzellen. Der Puzzle-Shooter basiert auf dem PC-Studentenprojekt Narbacular Drop und kommt mit einer simplen Idee aus: Schießt einen Ein- (blau) und einen Ausgang (orange) in Wände, durch die Spielfigur oder Objekte schlüpfen können. Verlagert dieses Prinzip nun in verwinkelte Räume und würzt es mit zusätzlichen Apparaturen wie Energie-Emitter und -Rezeptoren, Bodenschalter und Selbstschussanlagen als weitere Herausforderungen und heraus kommt Portal.

Angeleitet von einer Computerstimme müsst Ihr Euch durch 19 intelligent designte Abschnitte teleportieren. Die Lernkurve verläuft optimal, Ihr werdet elegant an die Grundprinzipien herangeführt und merkt gar nicht, wie Ihr bald spielerisch damit umgeht und komplexere Aufgaben löst. Gegen Ende hin wird’s richtig knifflig. Dann raucht der Kopf, Ihr stürzt aus großen Höhen durch Portale, um mit Schwung über Energiebarrieren zu fliegen oder lasst von der Decke Kisten auf Schießanlagen regnen – und beim abschließenden Durchschreiten des Ausgangs fühlt Ihr Euch wie ein kleines Genie. Kurz: ein richtig befriedigendes Spielerlebnis, an dem die gelungene Steuerung und die stylische Optik einen großen Anteil haben.

Team Fortress 2

Der Name ist Programm: Mit einem Team aus bis zu acht Spielern tretet Ihr gegen eine ebenso große Konkurrenzgruppe an und ringt um die Herrschaft in einem abgegrenzten Areal. Der Clou: Ihr dürft ­einen von neun Charakteren wählen. Diese teilen sich auf drei Klassen auf – Offensiv, Defensiv sowie Unterstützung – und verfügen dementsprechend über individuelle Talente. Der Ingenieur zum Beispiel baut Selbstschussanlagen, der Spion verkleidet sich wie der Feind und sticht Feinde hinterrücks ab; der Soldat schließlich schießt Gegner mit einer Bazooka zu Klump. Gespielt wird ’Capture the Flag’ und ’Control Point’ auf sechs Maps. Bei Letzterem müsst Ihr Kontrollpunkte eine bestimmte Zeit lang verteidigen, um zu gewinnen.

Meinung

Oliver Schultes meint: Half-Life 2 ist im Ego-Shooter-Genre das, was Super Mario 64, GTA: San Andreas und Gran Turismo 4 in anderen Bereichen darstellen – die Referenz! Die SciFi-Knallerei sprüht nur so vor Spielwitz und Ideen, erzählt eine spannende Story und verfügt über die beste Physik-Engine, die ich kenne. Obwohl die Hauptepisode schon knapp drei Jahre auf dem Buckel hat, wirkt sie auch im Vergleich mit aktuellen Top-Shootern wie BioShock und Halo 3 erstaunlich frisch. Die beiden Add-ons Episode One & Two mit je gut fünf Stunden Spieldauer führen die Geschichte gekonnt weiter und wären alleine den Preis wert – obwohl mir Episode One vom Setting her nicht ganz so gut gefällt. Doch die Entwickler packten noch einen traumhaften Puzzle-Shooter (Portal) und einen charmanten wie tiefgründigen Multiplayer-Hammer oben drauf. Danke, Valve!

Wertung

5 Spiele in einem: ”Half-Life 2”, ”Half-Life 2: Episode One & Two”, ”Portal” und ”Team Fortress 2”
deutsche und englische Sprachausgabe
gut 35 Stunden Solospielspaß
abrufbare Entwickler-Kommentare

Schlichtweg geniales Paket aus Solo-Action, Puzzle-Shooter und Mehrspieler-Knallerei – ein enormer Gegenwert fürs Geld!

Singleplayer94MultiplayerGrafikSound

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