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Im Hause Capcom dürften in den vergangenen Jahren regelmäßig die Korken geknallt haben. Die Japaner bewiesen ein gutes Händchen bei der Revitalisierung ihrer traditionsreichen Marken: Street Fighter und Dragon’s Dogma überzeugten jüngst Kritiker und Fans mit neuen Einträgen, Resident Evil legte die Messlatte für Neuauflagen hoch und das ehemals nischige Monster Hunter ist inzwischen fest im Mainstream verankert. Das hauseigene Rezept stimmt offensichtlich, ein Rekordgewinn jagt den nächsten. Umso erfreulicher, dass man es sich im Vorfeld weiterer Hochkaräter der Marke Monster Hunter Wilds nicht nehmen lässt, auch mal wieder kleinere Brötchen zu backen.
Mit Kunitsu-Gami: Path of the Goddess setzt Capcom zum selbstbewussten Startschuss einer neuen Marke an, die mit ihrem ungewohnten Genre-Mix und einer einzigartigen Präsentation wohlig an das Capcom der frühen 2000er zurückdenken lässt. Warum Ihr neben den großen Schwergewichten auch diese spannende Perle im Auge behalten solltet, verraten wir Euch auf den folgenden Seiten.
Der Berg Kafuku wird von der sogenannten ”Entweihung” heimgesucht. Bei Sonnenuntergang treten mit den ”Verdammten” schaurige Dämonen auf den Plan, die in den umliegenden Dörfern für Furcht und Schrecken sorgen. Diesem Chaos Einhalt zu gebieten, ist die verantwortungsvolle Aufgabe der Maid Yoshiro. Das finden die bösen Geister natürlich wenig gut und machen folgerichtig Jagd auf die Priesterin, die sich zwar entschlossen, aber eben auch wenig kampfversiert präsentiert. Hier kommt Ihr ins Spiel: Ihr schlüpft in die Rolle des Schwertkämpfers Soh, um Yoshiro bei ihrem ehrbaren Vorhaben zu beschützen.
Eure gemeinsame Reise ist etappenweise gegliedert – jeder Schauplatz begrüßt Euch essenziell mit demselben Spielablauf. Ihr nutzt die Sonnenstunden für spirituelle Putzarbeit und beauftragt Euren treuen Zimmermann mit der Reparatur diverser Konstruktionen wie Blockaden und Aussichtstürme, die Euch dann in der Nacht zugutekommen. Vor allem aber befreit Ihr arme Seelen, die der Entweihung zum Opfer gefallen sind und spannt sie gleich darauf wieder für Eure Sache ein. So werden aus einfachen Dorfbewohnern wahlweise Holzfäller, die sich kopfüber in Scharmützel stürzen, oder auch Bogenschützen, die aus der Ferne agieren. Gleichzeitig ebnet Ihr einen Weg, den Yoshiro gemächlich entlangtänzelt und dessen Ziel immerzu ein Torii-Tor am Ende der jeweiligen Karte darstellt. Ist dieses einmal gereinigt, gilt der Abschnitt als dämonenfrei. Der Haken: Die junge Maid lässt sich bei ihrem rituellen Tanz alle Zeit der Welt und die Nacht bricht schneller herein, als Euch lieb ist. In weiser Voraussicht positioniert Ihr Eure zweckmäßige Bürgerwehr also möglichst geschickt zwischen dem Dämonenquell und Yoshiro, um die nächtliche Bedrohung fachmännisch zu begrüßen.
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Je nachdem, wie clever Ihr Eure kämpferischen Dörfler positioniert habt, wehren diese den Wust an schick gestalteten Dämonen in Tower-Defense-Manier ab. Habt Ihr mal eine Lücke übersehen, passt Ihr die Formation bequem an, während das Geschehen pausiert. Keine Sorge, Ihr taktiert und befehligt nicht nur aus der Ferne – als kompetenter Schwertkämpfer lasst Ihr auch in Echtzeit die eigene Klinge sprechen. Ihr kettet diverse Angriffe zu Combos aneinander, die anfangs noch etwas blass bleiben, später aber an Varianz gewinnen. Reicht es in den ersten paar Schlachten noch, die Verdammten mit roher Gewalt zu empfangen, gestalten sich die Abschnitte im Verlauf immer komplexer. Dämonen nutzen etwa gleich mehrere Quellen, um Euch aus diversen Himmelsrichtungen aufzulauern. Außerdem trefft Ihr auf immer fiesere Schergen, die beispielsweise ihre Kameraden stärken oder in Yoshiros Nähe zu explodieren drohen. Schon bald könnt Ihr nicht mehr jedem Brandherd Eure Aufmerksamkeit schenken – der Stresspegel steigt, das Delegieren wird unabdingbar.
Äquivalent zur wachsenden Herausforderung entwickelt sich allerdings auch Euer Repertoire an Möglichkeiten, den Verdammten zu trotzen. Ihr weist Dorfbewohnern immer mehr Rollen zu – Schamanen heilen etwa Eure Truppen, während Asketen anstürmende Schergen ausbremsen. Außerdem greift Ihr auf eine satte Auswahl an Tsuba und Talismanen zurück, die Euch mit passiven Boni und Spezialfertigkeiten unterstützen. Ihr werdet dabei behutsam an neue Aspekte herangeführt, ehe man Eure Fähigkeiten fordernd, aber immer fair abfragt.
Kunitsu-Gami macht zudem einen tollen Job, dem Spielprinzip auch nach Stunden noch Varianz zu entlocken. Ein Level führt Euch etwa in eine dunkle Höhle, in der Ihr den Weg mit Laternen ausleuchtet. Ein anderes Mal findet Ihr Euch auf Booten wieder, die Ihr vor dem Kentern bewahren müsst. Langeweile kommt jedenfalls bis zum Schluss keine auf. Dafür sorgen auch knifflig-spaßige Nebenaufgaben, die nach erstmaligem Durchspielen eines Abschnitts freigeschaltet werden, sowie regelmäßige Konfrontationen mit Bossen, deren Schwachpunkte Ihr ermitteln und konsequent ausnutzen müsst, um siegreich zu sein. Das erinnert entfernt an eine schaurige Version von Nintendos Wuselabenteuer Pikmin.
Ist ein Gebiet gereinigt, widmet Ihr Euch dem Wiederaufbau des Stützpunktes. Das bringt Euch diverse Belohnungen ein – vor allem die Ressource Musubi, die Ihr in die Verbesserung Eurer Klassen und der Fähigkeiten von Soh investiert. Nicht zuletzt dienen die erholsamen Passagen aber ebenso dazu, den Herzschlag nach einer intensiven Schlacht zu beruhigen und durchzuatmen. Ihr beobachtet Dorfbewohner bei ihrem Alltag, erfreut Euch an schön aufbereiteten Sammlerstücken und lauscht dem hervorragenden Soundtrack, ehe es Euch ins nächste Gebiet zieht.
Meinung
Kevin Pinhao meint: Ich bin eigentlich kein großer Verfechter von Tower-Defense-Elementen und auch Echtzeit-Strategie landet eher selten auf meinem Teller. Trotzdem: Einmal an den elektrisierenden Stress der nächtlichen Schlachten gewöhnt, fand ich mich bei regelmäßigen Versuchen wieder, Abschnitte zu optimieren, um wirklich jede Belohnung einzustreichen. Begleitet von malerischen Schauwerten und einer Flut kreativer Designs, hat sich Kunitsu-Gami als willkommene Überraschung entpuppt, von der ich nicht gedacht hätte, dass sie mich so fesseln würde. Mit seiner erfrischenden Fusion aus Action und Strategie und einer einzigartigen Stilistik ließ mich der Titel mehrfach an Capcoms experimentelle PS2-Ära zurückdenken, in der solch eigenwillige Projekte noch deutlich häufiger das Licht der Welt erblickten, als es heute der Fall ist. Bleibt zu hoffen, dass Kunitsu-Gami Anklang findet, damit wir auch künftig mit spannenden Experimenten dieser Art rechnen dürfen.
Wertung
+ erfrischender Mix aus Action & Strategie
+ unverbrauchter Stil, dichte Atmosphäre
+ zumeist stabile 60 Bilder pro Sekunde
– Benutzeroberfläche eingangs undurchsichtig
– Action-Kampfsystem in den ersten Stunden rudimentär
Experimenteller und atmosphärisch präsentierter Action-Strategie-Mix mit jeder Menge Liebe zum Detail.
Singleplayer85MultiplayerGrafikSound
