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”Take me down to the Paradise City
Where the grass is green
And the girls are pretty
Take me home
Oh, won’t you please take me home”
– Guns N’ Roses: “Paradise City”
Das Gras im virtuellen Paradise City ist in der Tat grün, aber ob die Mädels hübsch sind? Wir wissen es nicht. Wenn nämlich blitzschnelle Boliden über den Asphalt rasen, traut sich kein Fußgänger auf die Straße – und das einzige weibliche Wesen, das sich bemerkbar macht, gibt es nur zu hören. Im lokalen Radiosender lässt DJ Atomica ihre Sprüche mit einer Ausstrahlung über den Äther gehen, die man eher mit einer freundlichen Putzfrau denn einer sexy Lady assoziieren würde. Aber immerhin: Wer kann sich noch an das personifizierte Störgeräusch namens DJ Black Pearl vom dritten Burnout erinnern? Wesentlich besser als dessen Verbaldurchfall ist Atomica auf jeden Fall.
Das ist aber nur ein Rand-Detail von Burnout Paradise, dem fünften Teil der spektakulären Criterion-Raserei und zugleich die erste echte Next-Gen-Entwicklung der ambitionierten Briten. Viel wichtiger sind die drastischen Änderungen, die damit einhergehen und das Potenzial haben, vor allem traditionsverliebte Fans in eine Glaubenskrise zu stürzen: Denn obwohl das Grundprinzip des hemmungslosen Rasens und Crashens erhalten blieb, hat sich das Drumherum mächtig gewandelt. Abgeschlossene Kurse sind ein Ding der Vergangenheit, jetzt flitzt Ihr völlig frei durch eine einzige große Stadt – Paradise City.
Die fiktive Metropole hat alles, was moderne Gasfüße brauchen: Im Innenstadtbereich düst Ihr auf breiten Straßen und Highways durch Hochhausschluchten und an der malerischen Küste entlang, während gleich daneben Hügelland mit kurvigen Wegen beginnt. Stolze 250 Meilen gilt es zu erkunden, denn bei Burnout Paradise müsst Ihr Rennen und andere Anlaufstellen erst mal finden. Schrottplätze (zum Fahrzeugtausch), Tankstellen und Lackierereien werden nur auf der Karte markiert, wenn Ihr sie aufgespürt habt. Außerdem wollen Werbetafeln zerstört, Absperrungen von Abkürzungen durchbrochen und Supersprünge ausgeführt werden.
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Wettbewerbe beginnt Ihr stets auf einer Ampelkreuzung: Steigt einfach gleichzeitig auf Gas und Bremse, schon geht der Lauf los. Zu bekannten Varianten wie normalen Rennen und der fröhlichen Verschrottungsorgie des Road Rage gesellen sich zwei neue Varianten dazu. Als ’Marked Man’ müsst Ihr einen Zielpunkt erreichen, bevor eine aggressive Meute schwarzer Boliden Euer Vehikel zu oft in ein Blechknäuel verwandelt hat. Bei Stuntläufen dagegen sollt Ihr durch z.B. Drifts, Boosts und Tricks bei Sprüngen Punkte sammeln – das ist eine interessante Ergänzung, benötigt aber viel Ortskenntnis und macht insgesamt weniger Laune als die anderen Wettbewerbe.
Aber zurück zum Ablauf der Rennen, denn darin verbirgt sich ein Aspekt, an dem Traditionalisten knabbern dürften: Zwar geht es wie gewohnt darum, mit Vollgas die Gegner abzuhängen und unliebsame Konkurrenz effektiv per Rempler in ’Takedown’-Unfälle zu zwingen, doch zusätzlich müsst Ihr nun darauf achten, wohin Euer Weg führt. Die Läufe finden mitten in der Stadt statt – soll heißen, es gibt zwischen Start und Ziel keine Barrieren mehr, Ihr sucht Euch den Weg wie bei Rockstars Midnight Club-Serie selbst aus. Zwar gibt Euch das Spiel audiovisuelle Hinweise auf die empfohlene Idealroute, doch im Eifer des Gefechts verpasst Ihr schon mal eine Abzweigung. Das führt zu einer ganz anderen Art des Rennens, auf die man sich einlassen muss. Ob das besser oder schlechter ist als der früher strikt vorgegebene Weg, muss jeder für sich entscheiden – auf jeden Fall ist damit die Freiheit wesentlich größer geworden.
Ein weiterer Streitpunkt sind die wegrationalisierten Crash-Kreuzungen. Anders als der PS2-Abschied Burnout Dominator, bei dem dieser Aspekt fehlte, hat Paradise seine eigene neue Auslegung der Verschrottungsorgien in Form der ’Showtime’ zu bieten: Die lässt sich (fast) jederzeit aktivieren und macht Euer Fahrzeug zum Punkte sammelnden Wrack. Nach dem ersten Knall beeinflusst Ihr nämlich den Flugweg Eures demolierten Blechhaufens mit Boost-Energie. Ziel ist es, möglichst viele Autos zu berühren und damit einen Massenunfall zu provozieren. Jedes Opfer erhöht den Schadenszähler, Busse sorgen für Multiplikatoren – wer geschickt agiert, kann minutenlange Chaos-Stafetten starten. Launig ist das auf jeden Fall, aber eben ganz anders als die altbekannten Kreuzungen, weshalb auch hier gilt: einfach mal drauf einlassen!
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”Burnout Paradise“ erhebt das Sandkasten-Prinzip zur Maxime: Was Ihr wann anstellt, ist Euch überlassen. Es gibt keinerlei vorgeschriebene Karriere-Strukturen, alle Wettbewerbe stehen sofort zur Verfügung, sofern Ihr sie gefunden habt – darunter die Möglichkeit, für jeden der über 60 Straßenzüge eigene Showtime- und Zeitfahrrekorde aufzustellen. In der Karriere kommt Ihr durch Siege weiter, mit denen Ihr immer bessere Lizenzen ergattert. Außerdem stockt Ihr so Euren Fuhrpark auf: Steigt Euer Ruhm, tauchen neue Boliden in der Stadt auf, die in Euren Besitz übergehen, sobald Ihr sie einmal gecrasht habt. Stolze 75 Vehikel könnt Ihr sammeln, die sich in drei Gattungen aufteilen und unterschiedliche Boost-Ausprägungen haben. Die Tempospezialisten laden den Schub so auf wie bei ”Burnout 2“, während Crash-Karren durch Schäden den Tank füllen.
Natürlich steht und fällt die Umsetzung eines solchen Raserspektakels mit Steuerung und Optik. Das arcadelastige Handling der Boliden funktioniert genauso gut wie bei den Vorgängern und lässt kaum Wünsche offen – Realismus will bei Burnout auch niemand. Bei der Technik macht Criterion seinem tadellosen Ruf einmal mehr Ehre: Burnout Paradise sieht großartig aus. Das Stadtdesign bietet jede Menge Abwechslung und markante Stellen (siehe nächste Doppelseite), während die schicken Vehikel mit zahllosen Details glänzen, die bei den Unfällen so richtig zur Geltung kommen – das spektakuläre Schadensmodell mit zerknüllender Blechverkleidung und überall durch die Gegend fliegenden Bauteilen hat es einmal mehr in sich.
Gekrönt wird die starke Optik vom Mangel an Macken: Pop-Ups oder ähnliche Fehler bleiben aus. Dazu läuft das Geschehen mit stabilen 60 Bildern pro Sekunde, wobei sich PS3- und Xbox-360-Fassung bis aufs Haar gleichen. Wenn es überhaupt etwas zu meckern gibt, dann vielleicht die Tatsache, dass weniger Zivilverkehr auf den Straßen unterwegs ist als bei den Vorgängern und Criterion fast zu viel Freiheiten gibt, statt zumindest etwas Führung zu bieten. Aber das ist Kritik auf hohem Niveau: Burnout Paradise erfüllt sein Ziel – es ist diesmal eben ein anderes Spektakel als bisher.
Meinung
Ulrich Steppberger meint: Die Meinung der Kollegen bestätigt meinen Eindruck: Burnout Paradise spaltet die Gemüter – wer sich mit der freien Welt nicht anfreunden kann oder will, der wird nicht glücklich werden. Klar, manchmal nervt es, wenn ich versehentlich falsch abgebogen bin und deshalb das Rennen verliere – vor allem, weil Criterion es nicht für nötig befunden hat, eine sofortige Wiederholung einzubauen. Das ist in der Tat ärgerlich, aber angesichts der vielen Pluspunkte verschmerzbar. Die edle Grafik und die vielen Rennmöglichkeiten machen die Vollgastouren ebenso zum Vergnügen wie die großartige Online-Einbindung. Letztere funktioniert einwandfrei, vor allem durch die tollen Herausforderungen kommt noch mehr Pfiff ins Spiel – das gibt auch der Langzeitmotivation einen richtigen Schub. Okay, gegen ein paar echte Crash-Kreuzungen hätte ich nichts gehabt, aber auch so wird Burnout Paradise noch sehr oft in den Laufwerksschacht meiner Konsole wandern.
Matthias Schmid meint: Nachdem ich mich vom ’Kein Menü, kein Arcade-Modus, keine Zweispieler-Duelle’-Schock erholt hatte, erwischte ich mich während meiner ersten Burnout Paradise-Stunden regelmäßig beim Quatsch-Machen – das kenne ich sonst nur von der GTA-Serie. Ich widmete mich der motivierenden Schilderjagd, kostete die schönsten Sprünge aus und raste unzählige Male einfach aus Spaß in den Gegenverkehr – das alles in toller Optik und mit makelloser Steuerung. Als ich davon aber genug hatte, mochten mich die normalen Aufgaben nicht so recht anspornen – anfangs waren die Gegner zu leicht, später nervten mich die ständigen ’Rase ans andere Ende der Stadt’-Rennen. Auch die komplizierte Wegfindung mit ihren sehr dezenten Richtungshinweisen bereitet mir Probleme. Und warum muss ich zum Schrottplatz fahren, um meine Karre zu wechseln? Vielleicht bin ich einfach noch nicht reif für das Konzept der offenen Stadt in Rennspielen…
André Kazmaier meint: Ich bin ja ein Fan von frei befahrbaren Städten im Stile eines GTA. Beim neuesten Burnout-Ableger muss ich den Sinn dieser Neuerung allerdings in Frage stellen, entsteht dadurch doch nur unnötiger Leerlauf: Ständig durch die Stadt gurken, nur um mein Auto wechseln oder bei einem bestimmten Event teilnehmen zu können – das nervt schnell. Auch bei den eigentlich spaßigen Rennen muss ich mich mehr auf die Karte konzentrieren als auf die Straße – unnötige Crashes bleiben da nicht aus. Doch trotz aller Meckerei kann ich mich dem Reiz der Geschwindigkeitshatz nicht entziehen. Die Aufmachung finde ich (im Gegensatz zu dem blassen Need for Speed ProStreet) absolut stimmig. Bei den Rasereien staune ich außerdem immer wieder Bauklötze: Das atemberaubende Tempo und die schockierend realistischen Unfälle kommen in HD eben noch eindrucksvoller rüber. Wenn doch nur die Stadt nicht so nerven würde…
Wertung
jetzt mit frei befahrbarer Stadt und 250 Meilen Straßennetz
120 Rennen und Wettkämpfe
75 Fahrzeuge
Crash-Modus jederzeit startbar
nahtlose, fabelhafte Online-Einbindung mit zusätzlichen Spielelementen
Riskanter Spurwechsel: rasantes Vollgas-Spektakel mit feiner Optik, frei befahrbarer Stadt und tollen Online-Features.
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