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Ob und wann uns tatsächlich ein Persona 6 beschert wird, hält Atlus weiterhin streng unter Verschluss. In den letzten Jahren war das dafür zuständige Studio Zero aber keineswegs untätig und präsentiert nun sein jüngstes vollendetes Werk mit Metaphor: ReFantazio. Das hat in vielen Aspekten viel mit dem ruhmreichen Kollegen gemeinsam, ist zugleich in Teilen jedoch ganz anders und vor allem inhaltlich eigenständig. Letzteres zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Euch – mit sehr wenigen spezifischen Ausnahmen – keine Charaktere oder Kreaturen aus dem Persona– und Shin Megami Tensei-Universum begegnen werden.
Das Königreich Euchronia, in dem Ihr Euch eine dreistellige Stundenzahl herumtreiben werdet, ist stark von klassischer Fantasy inspiriert. Die acht Volksstämme darin sind wiederum eher japanisch geprägt. Vogel- und Fledermauswesen teilen sich die Welt mit Beinahe-Menschen, die Hörner oder Tierohren und -schwänze tragen und sich nicht alle so ganz grün sind. Metaphor thematisiert unter anderem Rassismus und soziale Ungerechtigkeit im Verlauf der Story unverhohlen. Grundsätzlich geht es aber darum, nach dem Mord am König den Nachfolger im Rahmen eines von der Kirche ausgerichteten Turniers zu finden und den Schurken von der Übernahme des Throns abzuhalten. Erzählt wird das gelungen und mit ein paar stimmungsvollen Wendungen, wobei viele davon wie auch die Geheimnisse der Welt für aufmerksame Zeitgenossen jedoch nur bedingt überraschend ausfallen dürften. Dass etwa besonders groteske Monster als ”Menschen” bezeichnet werden, ist natürlich nicht reiner Zufall.
Anfangs seid Ihr als junger Elda – ein besonders wenig angesehener Stamm – nur mit einer Fee als Begleitung unterwegs, um für den totgeglaubten Prinzen anzutreten, aber im Lauf des Abenteuers sammelt Ihr eine bunte Truppe um Euch. Wie anfangs erwähnt, übernimmt Metaphor einiges von Persona, was sich unter anderem in der Storystruktur wie auch im Spielverlauf und dem Kampfsystem zeigt. So könnt Ihr nicht einfach die auftauchenden großen Missionen oder alternative Aufgaben beliebig vor Euch herschieben, sondern müsst bestimmte Sachen zwingend zu fest vorgegebenen Terminen erledigt haben, weil sonst ein abruptes Ende auf Euch wartet. Entsprechend ist fleißiges Level-Grinding nur begrenzt möglich, da jeder Ausflug mehr oder weniger Zeit kostet. Wenn Ihr erst einmal den ”Fährnisläufer” als Transportmittel dazu bekommt, vergehen teils mehrere Tage am Stück.
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Auch soziale Kontakte mit Euren Partymitgliedern und anderen Charakteren wollen diesmal wieder gepflegt werden, was ebenso Zeit verbraucht. Damit knüpft Ihr engere Bande, was praktische Vorteile im Abenteuer oder in Gefechten mit sich bringen kann und vor allem weitere ”Archetypen” freischaltet. So heißen die Metaphor-Varianten der Personas, die sich aber in der Verwendung in wichtigen Aspekten stark unterscheiden: Sie sind hier nämlich nicht fix an Charaktere geknüpft, sondern eher mit einem Job- und Klassensystem vergleichbar. Bedeutet also, dass in der Theorie jeder Eurer Kämpfer jeden Archetypen lernen und nutzen kann und in Eurem Team auf Wunsch auch alle mit den identischen ”Magie-Fähigkeiten” ausrüstbar wären. In der Praxis ergibt das natürlich wenig Sinn und die meisten Helden legen etwa anhand ihrer Charakterwerte nahe, was sich für sie am sinnvollsten eignet. Trotzdem erlaubt dieser Ansatz im Grunde mehr strategische Freiheiten als ein typisches Persona, zumal diesmal auch erlernte Skills an andere Klassen ”vererbt” werden können. Dafür sind die Archetypen visuell und inszenatorisch nicht so sehenswert und abwechslungsreich wie die Kollegen. Und nicht verkneifen konnten sich die Macher bei einigen größeren Auseinandersetzungen, dass Ihr dort besser ganz spezifische Party-Zusammenstellungen in ausreichender Stärke parat haben solltet, um eine Erfolgschance zu haben.
Ansonsten ist ein weiterer willkommener neuer Aspekt im Kampfsystem die Echtzeit-Komponente. In den Dungeons dürft Ihr unterlegene Gegner mit Eurer ausgerüsteten Waffe quasi im Vorbeigehen weghauen und bei dickeren Brocken lassen sich vor der direkten Konfrontation mit etwas Geschick genug Attacken anbringen, sodass Feinde bereits ordentlich Schaden nehmen und betäubt sind, bevor der ”Hauptkampf” startet. Der läuft wiederum nach dem vertrauten Rundenkonzept ab und fühlt sich weitgehend wie bei Persona an. Allerdings kommen hier erst alle Helden am Stück an die Reihe, bevor die versammelte Gegnerschar dran ist.
So fühlt sich Metaphor: ReFantazio spielerisch zugleich bekannt und doch eigenständig an und kann Persona-Fans und interessierte Neulinge gleichermaßen bedienen. Wie bereits erwähnt sind Welt und Geschichte frisch und erfordern darum keine Vorkenntnisse. Dazu gesellt sich eine ansehnliche Inszenierung, die allerdings nicht makellos ist: Charakterdesign und ein diesmal eher an genretypischen Standards orientierter Soundtrack sind sehens- und hörenswert, die Technik erreicht dagegen nicht ganz die Qualität von zuletzt Persona 3 Reload.
Es wird etwa viel mit dünnen und dunklen Linien gearbeitet und die Kamera bewegt sich während der Unterhaltungen stets ein wenig. Weil allerdings bei der Kantenglättung gespart wurde, führt das des Öfteren zu erkennbarem Schimmern und Flimmern. Und während die Bildrate in den Dungeons und anderen Kampfszenarien in der Regel flüssig und stabil bleibt, schwankt sie beim Besuch von Städten, in denen Ihr Euch öfters tummelt, doch deutlich. Verkraften lässt sich das aber allemal und schadet dem epischen Abenteuer kaum.
Meinung
Ulrich Steppberger meint: Bis kurz vor dem Ende war ich eindeutig auf ”Super”-Kurs, doch dann haben mich einige immens frustrierende Gefechtssituationen aus der Bahn geworfen. Ohne zu spoilern bin ich überzeugt davon, dass diese nicht alleine mir und meinem Party-Management anzukreiden sind, zumal die etwa 90 Stunden davor weitgehend reibungslos vonstattengingen. Doch auch ohne dieses Erlebnis finde ich Metaphor einfach nicht ganz so faszinierend wie die letzten Personas. Geschichte, Welt und Charaktere sind fraglos gelungen, aber mir geht das letzte Quäntchen Brillanz ab – manches fühlt sich wie archetypische Fantasy an. Auch eben jene Archetypen sind zwar eine intelligent umgedachte Alternative zu den Personas mit viel Spielraum für Experimente, sie lassen zugleich aber ein Stück weit Persönlichkeit vermissen. Dass die Grafik nicht zuletzt technisch hinter etwa Persona 3 Reload bleibt und teils merklich ruckelt, verwundert mich ebenfalls. Aber ich sollte nicht zu viel nörgeln, denn trotz allem würde ich das Abenteuer jedem ans Herz legen, der sich auf ein Fantasy-Persona einlassen will (und hoffentlich sehr viel Zeit dafür mitbringen kann).
Thomas Nickel meint: Nach dem gemächlichen Start nimmt Metaphor schnell Fahrt auf und wirft viele spannende Story-Köder aus. Ich will wissen, wie es weitergeht, was in dieser wunderbar eigensinnigen Welt tatsächlich los ist. Dabei hetze ich nicht atemlos von einer Zwischensequenz in die nächste, der Weg ist das Ziel. Mit dem stilvoll-dynamischen Kampfsystem zeigt Atlus, dass rundenbasierte Kämpfe auch 2024 kein überholtes Relikt sind – hoffentlich schaut Square Enix genau hin und macht Notizen! Was mich aber gleichzeitig beeindruckt wie nervös macht, ist der erneut gigantische Umfang. Klar, hier wird viel Spiel fürs Geld geboten, aber als Gamer mit begrenzter Zeit schüchtert mich die schiere Masse fast schon ein: Eine gekonnt auf 40 Stunden kondensierte Version wäre mein Traum.
Wertung
7 feste Partymitglieder
14 Archetypen mit etwa 40 Variationen
Kampfsystem bindet klug Echtzeit-Aspekte mit ein
Story packt auch unbequeme Themen an
FAZIT
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