Wie ich mal Raid-Leader in WoW war und was ich fürs Leben gelernt habe

Raid-Leader in World of Warcraft ist ein Vollzeit- und Knochenjob. MeinMMO-Autorin Larissa Then erinnert sich für euch an ihre Zeit als Raid-Leaderin in WoW zurück und erzählt von ihren Erfahrungen fürs Leben. Mit dabei ist Kurioses wie ein Schmähvideo.

Wie bin ich dazu gekommen? Den Raid-Leader-Posten in WoW anzunehmen, ist für viele eine schwerwiegende Entscheidung. Ich bin da einfach so reingerutscht, weil unser Raid-Lead aufgehört hatte. Und plötzlich hatte ich einen unbezahlten Vollzeitjob.

Der Lohn war die Dankbarkeit meiner Kameraden, das war mir immer genug. Außerdem habe ich viel für mein weiteres Leben mitgenommen und Erfahrungen gesammelt, die ich nicht missen möchte.

Dieser Artikel erschien ursprünglich Weihnachten 2019 auf MeinMMO.

Was habe ich geleitet? Meine Zeit als Raid-Lead liegt eine ganze Weile zurück, dennoch denke ich oft daran. Ich habe bei “Wrath of the Lich King” die Eiskronenzitadelle im 10-Personen-Modus auf der Stufe Hardcore (HC) geleitet. Und das Ganze für ungefähr ein halbes Jahr.

Die Eiskronenzitadelle

Ich möchte hier mit euch teilen, wie ich die Aufgabe als Raid-Leaderin (RL) wahrgenommen habe. Das ist natürlich subjektiv und jeder geht anders damit um. Ihr werdet Einblick in mehrere Teilbereiche meiner Arbeit erhalten:

Die nötigen Fähigkeiten eines RL

Die Aufgaben des RL

Der ganz alltägliche Wahnsinn

Auf was ihr nicht vorbereitet sein könnt

Mein Fazit fürs Leben

Wie sollte ein Raid-Lead gestrickt sein?

Wenn ihr euch auch dafür interessiert, ein RL zu werden, solltet ihr meiner Meinung nach ein paar Fähigkeiten mitbringen:

Ihr solltet nicht auf den Mund gefallen sein, denn ihr werdet viel reden müssen

Ein RL muss anecken können. Ihr seid oft der Buhmann (oder die Buhfrau) und könnt nicht immer nur lieb sein

Ihr braucht unglaublich viel Zeit für das Spiel

Organisationstalent ist ein Muss

Dazu gehört auch, anderen Aufgaben zuweisen und delegieren zu können

Ihr müsst kritikfähig sein und Fehler eingestehen können

Eure Performance als einzelner Spieler wird automatisch leiden, ihr solltet also Eitelkeit hinten anstellen können

Aufgaben des Raid-Leads: Vorbereiten, Anleiten, Nachbereiten

Der Endboss der Eiskronenzitadelle – Arthas

Was ist bei der Vorbereitung wichtig? Die wohl aufwendigste Arbeit ist die Vorbereitung auf den Raid:

Ich habe Stunden über Stunden mit Videos verbracht. Habe mir verschiedene Strategien aller Bosse angeschaut und eingeprägt.

Auch als der Raid schon länger geschafft war, habe ich immer wieder nach neuen Möglichkeiten Ausschau gehalten. Vor allem nach solchen, die gut zu meiner Gilde und den Spielern gepasst haben.

Dazu gehörten auch die nötigen Addons. Ich wollte immer auf dem neuesten Stand sein, was Hilfsmittel angeht. Gerade für die Ansagen im Raid war es unerlässlich, ein Boss-Tool am Start zu haben.

Mit jedem Patch gab es neue Analysen. Ich hatte stets auf dem Schirm, welche Builds und Klassen gerade am besten funktionieren.

Solche Analysen gibt es für jeden Raid

Wenn ich mir meine Strategie überlegt hatte, musste ich als RL die Rollen zuweisen. Dazu war es sehr wichtig, die Spieler meiner Gilde oder Gruppe gut zu kennen. Ich hab mich immer gefragt, wer zu welcher Aufgabe am besten passt. Vor allem, wenn ein Spieler mehrere Charaktere zur Auswahl hatte.

Was passierte während des Raids? Als Erstes musste der RL den Boss erklären. Eigentlich sollte ich voraussetzen können, dass jeder Spieler im HC die Bosse kennt. Das war natürlich nie der Fall. Ich erkläre allerdings gerne und hatte Spaß daran, verschiedene Gruppen zu koordinieren.

Im Bosskampf habe ich Ansagen für die Heiler und Schadensausteiler gemacht, wann beispielsweise Attacken auszuweichen war oder ein Spieler aus einer Falle geholt werden musste. Meine Tanks haben sich selbstständig abgesprochen. Diese zusätzliche Aufgabe habe ich liebend gerne erfüllt.

Lord Mark’gar, der erste Boss im Raid

Die Ansagen dienten aber auch der Aufmerksamkeit des Raids. Wenn ein Spieler sich mehrere Stunden durch ein Gewölbe kämpft, schweift er gedanklich unweigerlich ab. Das muss nicht einmal Absicht sein. Durch ein paar knackige Worte zwischendrin bleiben alle bei der Sache.

Was spielt man als Raid-Lead am besten? Ein großer Vorteil für mich war es, dass ich Heilerin gespielt habe. Als Druidin hatte ich ohnehin stets den Überblick über den gesamten Raid. Denn ich war für die Unterstützung aller Spieler außer der Tanks zuständig.

Ich habe aber vorher im Fernkampf Schaden ausgeteilt. Und mir von Freunden, die Nahkampf gespielt haben, auch einiges erzählen lassen. So hatte ich eine Ahnung von jeder Klasse und Rolle.

Damals noch ein Muss als Druide: Die Baumgestalt

Aber auch andere Klassen haben ihre Vorteile als RL. Ein Schadensausteiler, egal ob Fernkampf oder Nahkampf, hat stets den Boss im Visier und nicht das Leben der Spieler. Sobald der Gegner eine Attacke castet, kann er sofort reagieren. Und die Tanks haben ohnehin die meisten Mechaniken gut drauf und können so koordinieren.

Ansonsten war es mir während eines Raids wichtig, auch einmal zu lachen. Bei guter Laune und guter Stimmung spielen Menschen einfach besser. Außerdem ist WoW auch im HC-Raid nach wie vor ein Spiel und soll Spaß machen.

Was passierte nach dem Raid? Wenn unser Raid beendet war, haben wir ein paar Minuten Nachbesprechung gemacht. Das ging innerhalb der Gilde und des Kernteams vonstatten. Wir haben gemeinsam überlegt, was gut und was schlecht lief.

Ich hatte dabei großes Glück mit meiner Gilde. Für kaum jemanden war es ein Problem, die Rolle zu wechseln, wenn nötig. Außerdem haben sich alle Schadensausteiler gern an die Kampfpuppe gestellt und ihre Rotation der Fertigkeiten geübt.

Der Ladebildschirm in WOTLK

Unser alltäglicher Wahnsinn beim Raiden

Die Fremden im TS: Geraidet haben wir zweimal die Woche für ungefähr 4 Stunden. Dazu gehörte natürlich auch, dass alle Mitglieder im Voice-Chat versammelt waren. Damals haben wir noch Teamspeak verwendet.

Jedes mal, wenn wir einen fremden Mitspieler im Raid dabei hatten und der dem Teamspeak beitrat, kam eigentlich immer ein Spruch, der wohl vielen Spielerinnen bekannt ist:

Ich mache eine Einteilung und der Neue fragt, was denn der 13-jährige Junge im TS mache. Wie jedes Mal erkläre ich, dass ich ein Mädchen bin, durchaus volljährig und übrigens der Raid-Lead. Meine Jungs lachen, von dem fremden Spieler hören wir die nächsten Stunden keinen Ton mehr.

Das hat sich über die Monate zum Running-Gag weiterentwickelt. Es ging so weit, dass mich mein Raid teilweise mit Absicht falsch angesprochen hat. Beliebt waren Namen wie Kevin, Justin oder Klaus.

Das Discord der Vergangenheit: Teamspeak

Wütende Eltern im Hintergrund: Der Voice-Chat war ohnehin immer abenteuerlich. Ein Spieler aus unserer Gilde hat sich beinahe jedes Mal mit seiner Mutter gestritten. Natürlich hat er sich dabei nicht gemutet und wir haben fröhlich alles mitbekommen.

Manchmal wurde es so schlimm, dass ich ihn aus dem Channel ziehen oder vom Server kicken musste. Je nachdem, was gerade schneller ging. Das eine Mal hat es fast 15 Minuten gedauert, bis er es gemerkt hatte und zurückkam. Dann war er sauer, weil er ja mit uns geredet habe – upsi.

Hüpfende Raid-Mitglieder: Was bei unserem Raid auch nie fehlen durfte, waren hüpfende Heiler und Schadensausteiler. Allen voran ich als Raid-Lead. Wenn es regelmäßige Videos von unseren Raids gegeben hätte, wäre das wohl ein Bild wie bei der Gummibärenbande gewesen.

Dieses Gespringe sorgte bei uns stets für Lachen und gute Laune. Vor allem meine Druidin sah dabei recht lustig aus. Wenn ich in der Baumgestalt geheilt habe, hat mein Charakter die Arme hoch gerissen als würde er jubeln. Ich vermisse die Baumgestalt in WoW schon sehr, wenn ich so darüber nachdenke …

Die beliebte und niedliche Gummibärenbande aus dem TV

Das Wettrennen um den Schaden: Soweit es der Boss und die Klasse des Spielers eben zuließ, sollten alle in Bewegung bleiben. Eingeführt habe ich diese Regelung mit dem Hüpfen vor allem für zwei meiner Damage-Dealer. Die beiden haben stets um den meisten Schaden geeifert, ohne auf ihre Umgebung zu achten.

Auch für Ansagen waren sie in ihrer Konzentration immun. Das führte teilweise dazu, dass sie bereits beim ersten Boss beide gestorben sind. Und mit ihnen der ganze Raid. Dabei war der erste Boss Mark’gar eigentlich keine Schwierigkeit.

Problem-Bosse, die eigentlich nicht so schwer waren: Mit unser größtes Problem war der Boss Professor Seuchenmord. Ich weiß gar nicht so genau, woran es lag. Eigentlich an allem. Das Ziehen der Schleime hat nicht gut geklappt. Viele sind an den Pfützen oder Fläschchen gestorben. Hier vor allem auch die Heiler, mich natürlich inbegriffen.

Professor Seuchenmord gibt es auch bei Hearthstone

Ich habe mir den Kopf zerbrochen, wie wir das alles optimieren können. Habe mir immer wieder Videos angeschaut. Deren Qualität war zur damaligen Zeit teilweise unterirdisch. Gebracht hat es nicht viel.

Nach einigen Wochen lief es einfach wie von allein. Wir hatten ihn letztendlich geschafft und sind dort so gut wie nie mehr gewiped. Lustigerweise war der letzte Boss im Gegenzug kein Problem.

Wir hatten bei vorherigen Bossen, sogar beim allerersten, so viele Probleme. Der Lichkönig Arthas jedoch starb am zweiten Abend, an dem wir ihn erreichten. Das lag vielleicht auch daran, dass sich alle so auf ihn gefreut haben. Jeder war top vorbereitet an dem Tag, so gut wie vorher noch nie.

Worauf ich nicht vorbereitet war…

Wir hatten einen Abend einen fremden Spieler dabei. Er hatte vorher gefragt, ob er den Raid mitschneiden dürfte. Wir haben eingewilligt. Ich fand es auch spannend, einmal einen unserer Runs auf Video zu sehen.

Der gefürchtete Lichkönig

Der fremde Spieler war jetzt nicht der beste, aber er hat sich ordentlich angestellt. Außerdem war er im Teamspeak sehr freundlich. Am Ende des Abends hat er sich verabschiedet. Er wolle das Video dann mit uns teilen, gehört haben wir jedoch nichts mehr von ihm.

Einige Tage später schrieb mir ein Freund und schickte mir das Video. Der gute Mann hatte nur unsere Fehlversuche und Missgeschicke zusammen geschnitten. Obendrauf gab es dementsprechende Musik und lustige Effekte.

Witzig fanden wir es natürlich ganz und gar nicht. Er hatte auch unseren Gildennamen explizit noch einmal dazu geschrieben. Dass wir ihn quasi mitgezogen haben, fast bis zum letzten Boss, hat er mit keiner Silbe erwähnt.

Im Nachhinein kann ich drüber lachen. Das Video war ohnehin nicht lange im Netz und eigentlich war es tatsächlich lustig. Er hat es auf Drängen einiger Freunde letztendlich gelöscht. Damals fand ich es aber gar nicht cool. Ich war gekränkt und habe nie wieder einen Video-Mitschnitt erlaubt.

Mein Fazit fürs Leben außerhalb der Raids

Arthas hatte mit uns komischerweise nichts zu lachen

Das Problem mit der Unsicherheit: In meiner Zeit als RL habe ich einiges gelernt. Ich war das einzige Mädchen in der Gilde und zudem noch sehr jung. Als ich den Posten bekam, war ich sehr unsicher. Über die ersten Raids habe ich aber schon viel Selbstbewusstsein getankt. Dieses Gefühl habe ich mir bis heute bewahrt.

Früher als Damage-Dealer hatte ich immer den Druck, mich durchsetzen zu müssen. Es fiel mir schwer, Fehler einzugestehen. Gerade am Anfang habe ich mich sehr schwergetan, wenn der Raid gestorben ist. Ich habe alle Missgeschicke auf mich als Raidleiter bezogen.

Das ist über die Zeit weniger geworden. Außerdem war ich irgendwann viel kritikfähiger. Ich habe gelernt, zu separieren und nicht alles persönlich zu nehmen. Und das nicht nur in WoW.

Organisation ist alles: Zudem habe ich viel Organisationstalent dazugewonnen. Die Planung der Raids, das Entwickeln von Strategien sowie die Einteilung der Spieler. Alles ging irgendwann viel leichter von der Hand.

Die Eiskronenzitadelle ist bis heute einer meiner liebsten Raids

Auch heute in meinen Jobs und Hobbys wende ich Techniken von früher an. Ich schreibe zum Beispiel gerne Listen. Und das in wirklich jeder Lebenslage.

Der Raid-Lead als Lehrer: Ich erkläre auch immer noch wahnsinnig gern. Das habe ich in meiner Zeit als RL herausgefunden. Danach wollte ich immer Lehrerin werden. Das hat zwar nicht geklappt, aber nun unterrichte ich an der Universität. Den Spaß daran, anderen etwas beizubringen, habe ich mir also bewahrt.

Das konnte ich mir nicht aneignen: Das einzige, was ich nie ablegen konnte, war mein Wunsch nach Harmonie. Ich wollte immer, dass alle Mitglieder des Raids glücklich rausgehen – das war natürlich unmöglich. Es kränkt mich auch heute noch, wenn mich Menschen nicht leiden können. Und als RL war das besonders schlimm.

Der RL ist immer im Mittelpunkt des Geschehens. Unzufriedene Spieler geben meist ihm die Schuld. Dennoch habe ich etwas Wichtiges daraus gelernt. Auch wenn es mir nicht passt, keiner kann mit jedem befreundet sein. Daher ist es umso wichtiger, seine Zeit mit geliebten Menschen zu verbringen.

In diesem Sinne, frohe Weihnachten und ein paar besinnliche Tage mit euren Liebsten! Und wenn ihr Lust habt, etwas MMO-mäßiges zu kochen, haben wir hier 7 nerdige Rezepte für euch.

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