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Nicht nur in der Welt der Videospiele sind 36 Jahre eine lange Zeit. Sieht man sich aber mal an, wie sich Hard- und Software seit 1988 entwickelt haben, so könnte einem fast schwindelig werden. Selbst vergleichbar konservative Genres wie Rollenspiele in ihrer japanisch-konsoligen Ausprägung haben sich massiv verändert: Aktuelle Produktionen setzen gerne auf viel Melodrama, komplexe Spielsysteme und auch mal Action-Kampfsysteme. Und jetzt kommt Square Enix da an und bringt einfach ein RPG aus den ganz, ganz frühen Jahren des Genres auf aktuelle Systeme. Klar, diese neue Version von Dragon Quest III setzt auf den angesagten HD-2D-Look, orchestrale Musik und auch viel modernen Komfort. Im Grunde ist es allerdings das gleiche Abenteuer, das vor den genannten 36 Jahren mehr als 3 Millionen Spieler in Japan begeistert und zu Genrefans gemacht hat.
Schon der Auftakt könnte klassischer kaum sein. Am Morgen Eures 16. Geburtstags weckt Euch Eure Mutti und schickt Euch zum König, der glatt einen großen Auftrag für Euch hat: Tretet in die Fußstapfen Eures verschollenen Vaters Ortega, werdet ein echter Held (oder eine Heldin) und macht Erzfeind Baramos unschädlich – keine persönlichen Konflikte, keine endlose Exposition. Kauft noch etwas Ausrüstung, holt Euch in der örtlichen Schenke drei Mitstreiter und schon seid Ihr mitten im Abenteuer.
Das erweist sich tatsächlich als eine große Stärke von Dragon Quest III HD-2D Remake. Ihr werdet nicht mit Story erschlagen, die Designer sind keine verkappten Filmregisseure und um Skill- und Magiesystem zu verstehen, braucht Ihr keine acht Semester in RPG-Theorie. In Städten wird gerastet, eingekauft, gespeichert und mit Passanten geredet. Die Weltkarte ist groß, voller Geheimnisse und Monster, in Dungeons findet Ihr Feinde, Fallen und manche Schatztruhe.
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Eure Truppe bastelt Ihr individuell zusammen: Die Eigenschaften von Held oder Heldin definiert Ihr mit einem kleinen Frage-Antwort-Spiel zum Auftakt, andere Mitstreiter dürft Ihr selbst bauen oder in der Taverne Eurer Heimatstadt anheuern. Ihr findet Krieger, Kleriker, Kampfkünstler, Magier und weitere Berufe. Ganz neu ist hier der Monsterbändiger, der manch monströses Talent von Euren Feinden erlernt. Um etwas Würze ins Spiel zu bringen, dürft Ihr später die Profession wechseln und so interessante Hybridklassen kombinieren, um eine gut ausgewogene Heldentruppe erschaffen. Die braucht Ihr, denn unterwegs begegnet Euch viel witziges, aber auch bissiges Monstergetier. Das greift traditionell zufällig an und wird rundenbasiert gekämpft: Gebt Euren Mitstreitern eine grobe Richtung vor oder erteilt Befehle individuell – je nachdem, womit Ihr es zu tun habt. Aber egal, gegen wen und was Ihr kämpft: Selten dauert ein Gefecht übermäßig lang, insbesondere wenn Ihr etwas an der Anzeigegeschwindigkeit dreht.
Neben der audiovisuellen Präsentation haben Square Enix und Entwicklerstudio Artdink vor allem am Spielkomfort gefeilt. Von Anfang an habt Ihr die Wahl zwischen drei Schwierigkeitsstufen, wobei die mittlere immer noch deutlich einfacher als beim 8-Bit-Original ausfällt. Die Laufgeschwindigkeit ist höher, es gibt Karten für Städte und Dungeons und auch eine regelmäßige Autosave-Funktion wurde implementiert. Es sind mehr reguläre Speicherpunkte vorhanden, Ihr dürft Euch anzeigen lassen, wann ein Levelaufstieg ansteht, und Marker informieren Euch über das nächste Ziel – außer Ihr entscheidet Euch dafür, diese zu deaktivieren. Das alles sorgt für ein flottes, flutschendes Abenteuer in bester ”Dragon Quest”-Manier, das immer wieder mit mal witzigen, mal dramatischen und auch mal traurigen kleinen Geschichten überrascht. Und dabei wird Euch nicht jede Aufgabe und jeder Abstecher direkt auf die Nase gebunden: Manch Abenteuer erlebt Ihr nur, wenn Ihr aufmerksam die Gegend erkundet und auch mal selbst ein wenig kombiniert.
Meinung
Thomas Nickel meint: Dragon Quest III erinnert mich wieder daran, warum ich Rollenspiele tatsächlich so mag. Nein, es sind nicht die endlosen Zwischensequenzen moderner Titel und auch nicht deren gerne mal überkomplizierten Level- und Skill-Systeme. Es ist das Gefühl, in die Welt aufzubrechen und Abenteuer zu erleben. Der Einkauf vor dem Betreten eines kniffligen Dungeons. Die Freude über eine Kiste, die eine nützliche neue Waffe enthält. Der kleine Endorphinschub bei jedem Stufenaufstieg und den damit spürbar steigenden Charakterwerten. Genau das bietet Dragon Quest III in Reinkultur, genau das fesselt mich wieder wie die Klassiker der 8- und 16-Bit-Ära. Natürlich sage ich auch zu der tollen modernen Präsentation nicht nein und das zeitgemäße Balancing ist mir willkommen – und wer mehr Herausforderung will, der darf ja die Schwierigkeit hochschrauben. Wer seine Rollenspiele primär für leidende Anime-Helden, gespaltene Persönlichkeiten und ausgedehnte Storysequenzen spielt, der wird davon hier nicht allzu viel vorfinden. Aber vielleicht ist Dragon Quest III gerade dann genau das Richtige, zeigt dieses Abenteuer doch eindrucksvoll, wie gut die spielerischen Grundlagen des RPG-Genres auch Ende 2024 noch fesseln und unterhalten können!
Kevin Pinhao meint: Als ich Dragon Quest III HD-2D Remake vor ein paar Monaten anspielen durfte, ließ mich die jüngste Neuauflage in der Vorschau mit gemischten Gefühlen zurück. Eine deutlich intensivere Zeit mit dem Remake beweist nun aber, dass es mich erfreulicherweise doch gekonnt in seinen Bann zu ziehen weiß. Es ist beachtlich, wie fesselnd der Titel auch 36 Jahre nach Veröffentlichung des Originals noch ausfällt. Ein gutes Argument dafür, dass dieser Genre-Klassiker schlicht keiner großen Überholung bedarf? Vielleicht. Meine ursprüngliche Kritik bleibt aber bestehen. Square Enix bewirbt das Remake als ”komplett modernisierte Neuauflage des Originals”. Als solche empfinde ich es aber allenfalls auf audiovisueller Ebene – spielerisch kann man hingegen nur von handzahmen Überarbeitungen sprechen. Gerade vor dem Hintergrund diverser Fassungen, die bereits nah am Original sind, hätte ich mir hier etwas mehr von der versprochenen Modernisierung gewünscht. Trotzdem: Genre-Fans schauen natürlich rein und holen so im besten Fall gar ein wichtiges Stück J-RPG-Geschichte nach.
Wertung
9 Charakterklassen
3 Schwierigkeitsgrade
60 fps auf PS5, 30 fps auf Switch
Flott, sympathisch und endlos motivierend: Die toll inszenierte Neuauflage eines Genre-Klassikers wird Euch Stunde um Stunde fesseln.
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