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Viele Köche verderben den Brei, oder besser: Viele Ideen verderben das Spiel – wenn sich Entwickler auf dem Weg zum Ziel irgendwo verlaufen. Genau das ist bei Ataris eierlegender Wollmilchsau Alone in the Dark geschehen.
Mehr als drei Jahre Entwicklungszeit flossen in das Mammutprojekt. Die Folge sind unzählige innovative Einfälle: Angefangen bei der analogen Waffensteuerung via rechtem Controller-Stick feuert das Abenteuer um Serien-Veteran Edward Carnby ideentechnisch aus allen Rohren: Euer Held sucht in seinem Mantel-Inventar nach Ausrüstung, während das Spiel weiterläuft, fischt Stromkabel mit Rohren aus dem Wasser, bricht Türen auf, löscht Feuer, wechselt auf Knopfdruck in die Ego-Sicht, knackt Autos und schließt sie via Minispiel kurz. Darüber hinaus kombiniert Ihr allerlei Gegenstände zu todbringenden Waffen.
Umwickelt explosiv gefüllte Plastikflaschen mit Klebeband, stopft ein Taschentuch rein und zündet es an. Klebt nun die Haftmine Marke Eigenbau an herumwuselnde Krabbelviecher, die sich optisch zwischen den Half Life 2-Headcrabs und dem Alien-Facehugger einreihen. Dann kracht es gewaltig und ein ganzer Schwarm der Nerv-Bestien ist Geschichte. Im Kampf gegen besessene Menschen greift Ihr Stühle, Holzlatten, Baseballschläger, Stahlrohre oder Mülleimer und vermöbelt die Angreifer, indem Ihr mit dem rechten Stick ausholt und zuschlagt. Bewusstlose Gegner zerrt Ihr ins zumeist nahe gelegene Feuer, um sie endgültig zu vernichten. Alternativ zündet Ihr brennbare Objekte an und berührt die Widersacher. Die meisten lösen sich darauf hin sofort auf. Beeindruckend: Die Flammen breiten sich nachvollziehbar aus, sind eine Augenweide und suchen genreübergreifend Ihresgleichen.
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Mangelnde Abwechslung könnt Ihr bei Alone in the Dark nicht beklagen; alle paar Minuten wechseln sich verschiedenste Spielelemente ab: Hangelte Euer Alter Ego gerade noch an einer einstürzenden Hochhausfassade, rast er wenige Minuten später am Steuer eines Taxis durch das kollabierende Manhattan, verfolgt von einer unbekannten bösen Macht. Wie viele seiner Genre-Kollegen leidet auch Edward unter Amnesie und ahnt weder, welche Bedeutung hinter seinem Amulett steckt, noch welches Geheimnis den Central Park umgibt. Diesem kommt Ihr in acht Episoden auf die Spur, die Ihr wie bei einer DVD etappenweise überspringen dürft, solltet Ihr mal stecken bleiben. Dann aber startet Ihr mit minimaler Ausrüstung, manche Kämpfe sind so fast nicht zu schaffen. Dennoch ist dieses gewagte Feature ab und an sehr nützlich, trefft Ihr doch immer wieder auf unfaire Sackgassen und Aufgaben, bei denen Ihr entweder verzweifelt oder vor lauter Frust den Controller an die Wand schleudert.
Die Kletterpassagen gehen in Ordnung, Fahrmissionen hingegen quälen Euch mit Trial & Error-Passagen – außerdem vermisst Ihr jegliches Gefühl von Masse. Nur wer die Strecke und ihre geskripteten Ereignisse auswendig kennt, hat eine reelle Chance – sonst beginnt Ihr das Level von vorn.
Mit der hakelig zu steuernden Third-Person-Perspektive kann man sich arrangieren. Wollt Ihr aber darüber hinweg sehen, dass Ihr bei Rätseln regelmäßig allein gelassen werdet? Könnt Ihr ignorieren, dass Ihr im Inventar zwar Taschentücher mit Schnapsflaschen kombiniert, es umgekehrt aber nicht funktioniert? Und die wichtigste Frage überhaupt: Darf ein Alone in the Dark-Spiel absolut ungruselig sein? Statt zünftiger Schockeffekte oder subtiler Horror-Atmosphäre tischt Euch Atari einen Mystery-Thriller à la ”Lost” auf, dem es aus erzählerischer Sicht am Gespür für Timing und Spannungsaufbau mangelt. Stattdessen kochen die Entwickler aus bekannten Story-Versatzstücken ein fades Süppchen, das zudem unter holprigen Dialogen und talentfreien deutschen Sprechern leidet. Addiert Ihr dazu unsympathische Charaktere, ist das Dilemma perfekt. Da kann selbst der tolle Soundtrack von Olivier Deriviere (Obscure II) nichts retten.
Ob das vielleiht auch der Grund ist, warum uns Atari bis zwei Tage vor der Veröffentlichung noch keine Testmuster für PS2- und Wii-Fassung geschickt hat?
Meinung
Michael Herde meint: Große Ambitionen und verheißungsvolle Ankündigungen machten mich heiß auf den Atari-Horror. Selbst hakelige Preview-Versionen fand ich vielversprechend, erst die Testversion sorgte für Ernüchterung: Alone in the Dark bietet unverbrauchte Ideen zuhauf – leider ist es Eden Games nicht gelungen, die einzelnen Elemente zu einem stimmigen Ganzen zu verbinden. Im fertigen Spiel will nichts zusammenpassen. Sei es die unpräzise Steuerung, unfaire Nerv-Passagen, fehlende Hinweise oder die Präsentation. Anfangs gibt das Spiel Vollgas, später lässt es gewaltig nach. Story und Charaktere lassen keine emotionale Annäherung zu, dilletantisch inszenierte Cut-Scenes ohne Gespür für Drama ersticken Spannung oder Schockmomente im Keim. Schade um die vielen guten Ansätze und die super Musik!
André Kazmaier meint: Im letzen Preview verglich Michael den Zustand des Spiels mit einer Baustelle, auf der ein riesiges Gebäude entstehen sollte. Herausgekommen ist eine Bruchbude – und ich habe mich trotzdem eingemietet. Ein Fehler. Ständig stolpere ich über herumwuselnde Bugs. Meine Mitbewohner Edward und Sarah haben derart schlimme Stimmen, dass ich aus Scham die Fenster schließe. Einige Zimmer wurden mit modischen Texturen tapeziert, bei vielen Räumen hatte der Innenausstatter deutlich weniger Lust. Teils unterirdisches Leveldesign bildet das Fundament des maroden Hauses. Die Architekten von Eden Games haben sich eindeutig übernommen. Was bringen mir vielversprechende Baupläne, wenn ich im Endeffekt in einer Baracke hause? Aber wenigstens sieht das Feuer toll aus, wenn ich die Hütte abfackle.
Wertung
einfallsreiche Analogkontrollen
Inventar im Mantel
acht Episoden mit jeweils rund einer Stunde Spielzeit
in Deutschland ungeschnitten
Vorspul-Feature für Überforderte
Ataris Horror-Hoffnung scheitert beim Versuch, unzählige Spielideen unter einen Hut zu bringen und ist dabei gar nicht gruselig.
Singleplayer63MultiplayerGrafikSound