Das Internet hat MMORPGs zerstört

Seit 2014 stecken Onlinerollenspiele in der Krise. Vor dem einschneidenden Jahr kamen jährlich drei bis fünf neue Onlinerollenspiele aus dem Westen heraus. Heute sind kleine MMORPGs, die über Crowdfunding finanziert werden, und deren Entwicklung oft über Jahre still steht, noch unsere größte Hoffnung. Aber woran liegt das? Warum scheinen MMORPGs ihren Zauber verloren zu haben?

Um MMORPGs steht es nicht gut. Und das ist grade deshalb so seltsam, weil es in den 2000ern das Boom-Genre im Gaming überhaupt war. Sogar hier in Deutschland.

Die Webseite „buffed.de“ von Computec extra erstellt, um den Hype um World of Warcraft mitzunehmen, erreichte im Juli 2007 fast 80 Millionen Seitenaufrufe – hauptsächlich mit dem MMORPG WoW (via web.archive).

Im Januar 2025 hat Buffed noch etwa 4,1 Millionen Seitenaufrufe erreicht (via ivw). Dabei sind heute viel mehr Nutzer im Internet als vor 18 Jahren.

Das ist nichts, was man an Buffed festmachen könnte. „MMORPG-Seiten“ sind heute generell nur noch ein Schatten ihrer selbst, auch im englischsprachigen Raum. Die meisten MMORPG-Seiten haben in den letzten 10 Jahren etwa 90 % ihrer Leserschaft verloren, viele haben ganz dicht gemacht.

Neue MMORPGs lösen immer noch einen gewaltigen Ansturm aus

Dabei ist das Interesse an neuen MMORPGs nach wie vor hoch. Große AAA-MMORPGs, die seit 2014 erschienen sind, hatten einen gewaltigen Spieler-Ansturm auf Steam. Das sehen wir an den 3 Spielen, die Amazon herausgebracht hat:

New World erreichte zum Release im Oktober 2021 913.027 Spieler – und das als Kauftitel

Lost Ark kam im Februar 2022 als Free2Play-Titel sogar auf 1,3 Millionen Aufrufe

Selbst Throne and Liberty, das zum Release in Europa im Heimatland Südkorea schon gescheitert war, kam noch auf 334.000 Spieler im Maximum

Doch das Problem ist klar: Keines der Spiele kann seine Spieler lange halten und begeistern. Jedenfalls nicht so wie früher, als die Leute WoW gespielt und damit einfach nicht mehr auf gehören haben, sondern für Monate und Jahre nichts anderes mehr taten als in Azeroth ihr zweites Leben zu führen.

Spiele wie Lost Ark oder New World krachten schon nach wenigen Monaten gewaltig ein. Die Spieler waren frustriert und schimpften: Einmal mehr konnte ein MMORPG nicht ihre hohen Erwartungen erfüllen.

Wie haben MMORPGs ihren Zauber verloren?

Das Internet ist sehr gut darin geworden, MMORPGs zu lösen

Die große Änderung, die wir heute erleben, hängt damit zusammen, wie professionalisiert das Internet geworden ist, neue MMORPGs zu analysieren und aufzulösen. Und es hängt damit zusammen, dass die soziale Komponente in MMORPGs, der Klebstoff, aus dem Spiel entfernt wurde.

Früher waren MMORPGs weitestgehend eine Blackbox, die man nur in dem Spiel selbst erfahren und entschlüsseln konnte. Spieler kamen gar nicht auf die Idee, außerhalb des Spiels groß nach Informationen zu suchen. Sie hatten all die Such-Mechanismen, um vermeintlichen Frust zu vermeiden, die uns heute so normal vorkommen, noch gar nicht gelernt:

Wolltest du wissen, was die beste Möglichkeit war, Erfahrungspunkte zu machen oder die Ausrüstung zu bekommen? Dann musstest du wohl zwangsläufig einen erfahrenen Spieler im MMORPG finden, der dir das erklären konnte.

Oder man musste es sogar durch Trial-and-Error selbst herausfinden, was darauf hinauslief, dass man in eine noch unbekannte Zone lief, dort starb und dann erkannte: „Oh, hierfür bin ich wohl noch zu schwach.“

Wolltest du damals mehr machen, als nur alleine durch die Gegend zu ziehen, musstest du dir eine Gilde suchen, Verbindungen aufbauen, dich als verlässlich und freundlich erweisen, damit andere mit dir spielen wollten.

Heute hingegen informiert man sich über ein MMORPG über YouTube oder Twitch über Foren oder Magazine.

Langfristige Mitspieler wurden durch Wegwerf-Gefährten aus dem Gruppenfinder ersetzt, durch Zufalls-Bekannntschaften aus einem Discord oder in einigen MMORPGs sogar durch NPCs, die das Spiel mitliefert, damit man sich die Interaktion mit lästigen anderen Menschen ganz ersparen kann.

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Zum Release eines neuen MMORPGs ist es längst entschlüsselt

Eine „Erkundungs-Phase“ eines MMORPGs als Blackbox gibt es vielleicht noch für wenige Pioniere, die auf dem Test-Server oder in einer Beta spielen.

Doch zum Release eines neuen MMORPGs ist längst klar, was der optimale Weg ist, die Maximal-Stufe zu erreichen. Jeder kann nachlesen, wie der perfekte Levelpfad aussieht, wie Sprungrätsel X oder Boss-Kampf Y abläuft und selbst das große Geheimnis, ein verstecktes Mount, ist nur für wenige Stunden geheim.

Seit allen klar ist, was für eine Industrie WoW geworden ist und dass es Seiten und Menschen gibt, die davon leben, das Spiel genau aufzulösen und zu betreuen, gibt es kaum ein aussichtsreiches MMORPG, das erscheint, ohne dass der nächste Web-Master oder Administrator seine große Chance wittert und eine Fanseite erstellt, die das Spiel schon in der Beta analysiert und aufschlüsselt. Das große Vorbild war früher mmo-champion und heute ist es wowhead.

Bei den MMORPGs aus Asien, die hier im Westen erscheinen, ist es noch schlimmer:

Da gibt es ja schon alle Inhalte und Guides in Asien, die nur übersetzt werden müssen

Einige haben sogar schon auf den Servern in Asien gespielt und fangen hier mit einem gewaltigen Wissensvorsprung an

Und das ist längst nicht alles: Musste man sich früher umständlich Boss-Mechaniken erschließen, gibt es in Spielen wie WoW heute längst Addons, die einem die Mechaniken vorkauen und brüllen, aus dem Feuer zu gehen.

Und auch die Entwickler haben sich dem Trend ergeben: Statt sich im Chat eine Gruppe für eine Aktivität suchen zu müssen, wird heute als Quality-of-Life-Standard eine automatische Gruppensuche vorausgesetzt.

Die Spieler selbst sind letztlich schuld daran, dass sie MMORPGs nicht mehr so lange spielen können, wie früher. Heute ist es möglich, ein MMORPG „optimiert“ zu spielen – früher hätten das Leute vielleicht auch gerne gemacht, aber es gab die Möglichkeit einfach nicht.

Wer da ein MMORPG “optimal” spielen wollte, musste enorm viel Zeit investieren und sich selbst fortbilden, sich die besten Leute auf dem Server suchen und deren Wissen anzapfen, erstmal in die höchste Kreise gelangen und aufgenommen werden.

Das war sicher elitär und viel eher Lebenszweck als Hobby und Nebenbeschäftigung, aber es hat eben dieses MMORPG-Gefühl ausgemacht, das heute so viele vermissen: Man war jemand auf einem Server, hatte sich dort etwas erarbeitet.

Das Internet, das gelernt hat, wie lukrativ es ist, Spielern dabei zu helfen, ein MMORPG optimal anzugehen und zu lösen, hat dazu beigetragen, dass die Langlebigkeit der Onlinerollenspiele nachgelassen hat und dass viele das Gefühl von „früher“ suchen.

Dazu kommt, dass MMORPGs nicht mehr zu unser super-individualisierten Zeiten passen. Wenn man einem heute 20-Jährigen erklärt, dass es früher ganz normal war, sich für 18:00 Uhr zu verabreden, weil man da einen Pflicht-Termin mit 39 anderen hatten und es als sehr unhöflich galt, sich auch nur um 5 Minuten zu verspäten, ist das schon schwierig.

Wenn man dann noch anfängt über DKP zu sprechen und dass man die sparen musste, um auf ein Schwert zu bieten, kommt man sich endgültig vor, wie Opa, der vom Krieg erzählt.

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Hardcore-MMORPGs als Anreiz, MMORPGs wieder richtig zu spielen

Eine Möglichkeit, die Spieler und auch Entwickler gefunden haben, um den Reiz von früher zurück zu bringen,  ist es, über „Hardcore-Modes“ die Fehlertoleranz eines MMORPGs auf Null zu setzen. Allerdings passiert das nicht in „neuen MMORPG“, sondern in den 20 Jahren alten MMORPGs von früher, die ohnehin schon gelöst sind.
WoW im Classic Hardcore Modus ist wieder so wie früher, nur dass man keine Fehler mehr machen darf, also geht das Optimieren weiter: MMO-Trends: Warum jedes MMO gerade stirbt

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