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Veränderungen sind stets ein heikles Thema für Fans. Bleibt alles beim Alten, wird über fehlende Innovationen geschimpft. Andererseits bedeutet Neuerung nicht immer auch Verbesserung. Mit dieser Problematik musste sich das Entwicklerteam bei Double Helix auseinandersetzen, das mit Silent Hill: Homecoming die berühmte Horrorserie zu neuem Leben erwecken möchte. Seit dem weitgehend gelungenen Kinofilm ist die Serie einem größeren Publikum bekannt und das soll nun bitteschön ebenso angesprochen werden wie alteingesessene Fans.
Im Mittelpunkt der Serie steht seit jeher eine komplexe, meist schwer durchschaubare Geschichte, die dem Spieler immer wieder Bruchstücke liefert und erst gegen Ende eine schreckliche, verstörende Wahrheit ans Tageslicht offenbart. Unübertroffen ist diesbezüglich bis heute Silent Hill 2 mit seiner metaphorischen Tiefe. Die bietet Homecoming zwar nicht, doch auch das Schicksal von Alex Shepherd kommt nur langsam ans Licht und das Spiel streut gezielt Hinweise, die am Ende zum schlagartigen Aha-Erlebnis führen.
Als Alex nach langer Abwesenheit in sein Heimatörtchen Shepherd’s Glen zurückkehrt, findet er nur wenige Bewohner vor. Eine Jugendfreundin ist ebenso mit von der Partie wie die Richterin der Stadt, Alex’ Mutter und ein Polizist. Die meisten Menschen sind hingegen aus unerklärlichen Gründen verschwunden, darunter Alex’ Vater und sein Bruder Josh. Also macht sich Euer Protagonist auf die Suche und erkundet dabei die Vergangenheit seines Wohnortes, der wie die titelgebende Stadt am berühmten Toluca-See liegt. Im Verlauf des Abenteuers stattet er auch Silent Hill einen Besuch ab, was ihn der Wahrheit immer näher bringt. Wie in den Vorgängern gibt es erneut mehrere alternative Enden; inklusive eines nicht allzu ernst zu nehmenden UFO-Abspanns sind es diesmal fünf. Während der Gespräche mit den verbliebenen Bewohnern entscheidet Ihr Euch mehrmals für eine der Antworten im neuen verzweigten Dialogsystem, wodurch Ihr den Ausgang der Geschichte maßgeblich beeinflusst.
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In den nebeligen Straßen und verlassenen Häusern treiben seit jeher groteske Monster ihr Unwesen. Im Verlauf des Abenteuers trefft Ihr auf alte wie neue Gegnertypen, darunter der Nadler, der seinen Kopf nicht auf der Schulter, sondern zwischen den messerscharfen Beinen trägt. Natürlich feiern auch die Krankenschwestern und der armlose Rauchspeier Smog ihre Rückkehr – in puncto Design stand hier eindeutig der Film Pate. Zwar gibt es mehr Gegnervariation als früher, doch keiner weist durch sein Aussehen einen Bezug zum Schicksal des Protagonisten auf, wie es noch in Teil 2 der Fall war. Stattdessen freuen sich Kenner der Reihe (und des Films) über den Auftritt eines Stargastes, der jedoch in erster Linie als Dienst am Fan zu werten ist und leidlich in die Handlung integriert wurde.
Die zweite Besonderheit der Serie liegt im Wechselspiel von undurchdringlichen Nebelpassagen, verlassenen Gebäuden mit unzähligen verschlossenen Türen und rostig-blutigen Höllenszenarien. Wie im Film ist der Dimensionswechsel auch in ”Homecoming” direkt zu sehen, auf das kultige Sirenengeheul beim Übergang wurde indes weitgehend verzichtet. Im Schein seiner Taschenlampe durchquert Alex diverse Schauplätze wie das Krankenhaus oder ein Hotel und löst seltene, meist simple Rätsel, die den weiteren Weg öffnen.
Für die einzigartige Soundkulisse sorgt erneut Serien-Guru Akira Yamaoka. Die akustische Untermalung umfasst dabei das statische Rauschen des Walkie-Talkies sowie monotone Ambientklänge, Industrial-Passagen und rockige Gesangsnummern.
Nach dem ersten Endboss steigt der Action-Anteil drastisch. Ein Zustand, dem die überarbeitete Steuerung Rechnung tragen will – mit mäßigem Erfolg. Zwar verfügt Alex über leichte und harte Angriffe sowie eine Ausweichbewegung, Konter-Moves und derbe Finisher. Sogar präzises Zielen ist nun dank der Schulterperspektive möglich. Doch all das funktioniert nicht so gut wie erhofft: Immer wieder steckt Alex unnötige Treffer ein, meist, weil das Ausweich-Timing zu fummelig ist oder die Kamera zickt. Zur Frustvermeidung wurden neben regelmäßigen Speicherpunkten automatische Checkpoints eingebaut, die lange Laufwege nach Alex’ Ableben verhindern.
Zwar gibt Silent Hill: Homecoming ausreichend Anlass zu Kritik, unterm Strich erweist sich das Spiel dennoch als solides, effektvolles Horror-Abenteuer, das gruseliger ist als Resident Evil 5, F.E.A.R. 2 und Alone in the Dark zusammen.
Meinung
Michael Herde meint: Das erste amerikanische Silent Hill kopiert viele Eigenschaften der japanischen Vorlage. Wie gewohnt durchquere ich das Spiel der 1.000 verschlossenen Türen mit wohliger Gänsehaut, die einmal mehr durch die unbequeme Klangkulisse von Akira Yamaoka erzeugt wird. Dennoch reicht der Soundtrack nicht an die Qualität alter Teile heran, vom Titeltrack ”One more Soul to the Call” bin ich jedoch hin und weg. Das Kampfsystem war zwar noch nie so gut und umfangreich wie diesmal, doch mit dem Fokus auf mehr Action haben die Entwickler aufs falsche Pferd gesetzt: Wo mich ehemals nur ein bis zwei Gegner bedrohten, sind es nun regelmäßig drei oder mehr. Für solche Situationen ist die Steuerung aber wiederum zu schlecht. Dass ich fast jeden Kampf mit monotonen Messer-Combos gewinne, macht’s nicht besser. Deplatzierte ”Hostel”- und ”Saw”-Einlagen gegen Ende unterstreichen den Eindruck, ein gewaltorientiertes US-Imitat japanischen Horrors zu spielen. Als Fan der ersten Stunde habe ich mir mehr erhofft. Dennoch fiebere ich bis zum Ende mit und bin erfreut, dass dies zumindest überrascht.
Thomas Stuchlik meint: Homecoming will die Gruselreihe wiederbeleben. Allerdings scheinen die Entwickler überfordert gewesen zu sein. Spielerisch bedienen sie sich bewährter, aber altbackener Genrestandards. Die unspannende Suche nach dem nächsten Schlüssel beziehungseise Gegenstand lockt heute keinen Zocker mehr vor den Schirm. Unterwegs trefft Ihr Silent Hill-untypisch auf massig Gegner, die sich trotz verbesserten Kampfsystems als nervtötendes Hindernis entpuppen. Die düster inszenierten Szenarios wirken stimmig, für Serienkenner gibt es jedoch kaum Überraschungen. Mein größter Kritikpunkt sind allerdings die ungewollt zombiehaften Darsteller, die Charaktertiefe und Emotionen ebenso vermissen lassen wie Lippensynchronität. Immerhin weckt der passende Soundtrack von Akira Yamaoka Erinnerungen an alte Zeiten. Homecoming eignet sich durchaus für Horror-Fans, die mit Resident Evil nichts anfangen können. Eingefleischte Serien-Fans werden aber womöglich enttäuscht.
Wertung
neues Kampfsystem mit Ausweichen und zwei Schlagvarianten
simple Rätsel, viel Action
5 verschiedene Enden
beeinflussbare Dialoge
Stimmungs- und effektvolles Gruselabenteuer mit vielen monotonen Kämpfen und Schwächen im Spieldesign.
Singleplayer70MultiplayerGrafikSound
