Den eigenen Vater an Videospiele heranführen. Kann das klappen? MeinMMO-Dämon Cortyn hat es ausprobiert – und dabei einige Erkenntnisse gesammelt.
Videospiele sind unser aller liebstes Hobby. Die meisten von uns spielen bereits seit Jahren, wenn nicht gar seit Jahrzehnten. Viele von uns sind mit Games aufgewachsen. Wenn wir ein neues Spiel beginnen, begreifen wir die Grundlagen im Normalfall innerhalb weniger Augenblick. Standard-Aktionen wie die Steuerung des Charakters, die Bewegung der Kamera oder simple Aktionen wie „Springen“ – da müssen wir nicht einmal drüber nachdenken. Das können wir, wenn wir das Spiel starten, denn es ist in beinahe allen Spielen nahezu identisch.
Doch dass das gar nicht so leicht ist, hat mir nun mein Vater vor Augen geführt. Denn mit dem habe ich in den letzten Wochen regelmäßig an der PlayStation 5 zusammen ein Spiel gespielt und dabei gelernt: Videospiele sind unglaublich kompliziert geworden und die grundlegende Steuerung ist nur der Anfang.
Wir haben Split Fiction gespielt. Jeder und jede „von uns“, also langjährige Gamer, wird mir wohl zustimmen: Split Fiction ist kein schwieriges Spiel. Deshalb war es das perfekte Spiel, um es zusammen mit meinem Vater zu spielen und ihn an die Welt der Videospiele heranzuführen.
Autoplay
Wer das Spiel nicht kennt: Split Fiction spielt man im „Split-Screen“-Modus, egal ob man es lokal oder Online spielt. Man schlüpft in die Rolle der beiden Autorinnen Zoey und Mio und muss sie durch verschiedene Fantasy- und SciFi-Level navigieren. Die meiste Zeit über ist das Spiel ein Plattformer, mit gelegentlichen Action-Passagen und kleineren Rätseln. Denn die beiden Charaktere müssen zusammenarbeiten, da sich Hindernisse anders nicht überwinden lassen.
Es ist ein Koop-Spiel, bei dem die Kooperation auch Pflicht ist. Alleine kann man das Spiel gar nicht abschließen.
Die Sache mit der Kamera
Das wohl deutlichste Beispiel, das sich durch das ganze Split-Fiction-Erlebnis mit meinem Vater gezogen hat, war die Benutzung der Kamera.
Auf der Konsole benutzt Split Fiction eine Steuerung, die vollkommen typisch für moderne Action-Spiele ist: Mit dem linken Stick steuert man die Bewegung des Charakters, mit dem rechten Stick bewegt man die Kamera. Auf dem PC steuert man die Kamera mit der Maus und die Heldinnen mit WASD oder den Pfeiltasten. Absoluter Standard.
In Split Fiction seht ihr permanent, was die andere Person macht. Ob man will oder nicht.
Das ist super simpel. Dachte ich zumindest. Aber es ist nur simpel, weil wir das seit Jahren oder Jahrzehnten machen.
Für meinen Vater war das ungeheuer schwierig.
Solange es kein Zeitlimit gab, war das nur ein Problem der Geschwindigkeit. Meistens stellte er die Kamera für die nächste Sprung-Passage ein und steuerte dann den Charakter – nacheinander.
Das geht aber nicht ewig. Denn irgendwann gibt es ein Zeitlimit (etwa, weil man von einem wütenden Boss verfolgt wird), oder aber, weil man während einer Sprung-Passage gleichzeitig die Kamera drehen muss – etwa dann, wenn man sich um ein großes Objekt herumbewegt oder aktiv sich bewegenden Gefahren ausweichen muss.
Genau das waren dann die Momente, in denen mir deutlich wurde, wie viel da eigentlich gleichzeitig verlangt wird:
Der Charakter muss in die korrekte Richtung bewegt werden.
Die Kamera muss gleichzeitig mitgesteuert werden, wodurch die Bewegungsrichtung des Charakters auch permanent angepasst werden muss.
Die richtigen Tasten zum Springen, Festhalten oder Schießen müssen im richtigen Moment gedrückt werden.
Das klingt vollkommen banal. Nach etwas, das „wir Gamer“ im Schlaf, mit ausgeschaltetem Monitor und einhändig machen.
Aber für jemanden, der sonst keine Videospiele spielt, war das anstrengend und Stress pur.
Da hilft es dann auch nicht, dass mein Vater vorher noch nie einen PS5-Controller richtig in der Hand gehalten hat und sich noch gar nicht einprägen konnte, welche Taste denn nochmal die Kreis-Taste oder die L2-Taste ist.
Das führte dann zu einigen amüsanten Augenblicken, in denen einfach alle Tasten gedrückt wurden – einschließlich der Pause-Taste, was mehrfach peinliches Schweigen auslöste.
Die einzigen Videospiele, die mein Vater (in meiner Erinnerung) wirklich aktiv gespielt hat, waren die ersten Tomb-Raider-Teile vor weit über 20 Jahren. Da hat Lara Croft sich aber nicht relativ zur Kamera bewegt, sondern immer in Relation zu ihrer eigenen Blickrichtung. Das wirkt heute total aus der Zeit gefallen und würde die meisten von uns vermutlich ähnlich überfordern. Nur würden wir da schnell sagen: „Was für eine schlechte Steuerung, das spiel’ ich nicht.“
Umso schöner war es dann in den späteren Passagen des Spiels, als ich deutlich merkte: Langsam, ganz langsam, kann er die Steuerung flüssiger nutzen. Er muss nicht mehr so oft auf den Controller schauen und schafft es auch, die Kamera in der Bewegung – zumindest ein bisschen – auszurichten. Dass er nach einem langen Sprung dann auch deutlich stolz „Ha, hast du das gesehen? Das hättest du nicht gedacht!“ sagt, hat es noch ein bisschen besser gemacht.
Spiele müssen zugänglicher werden – denn sonst finden neue Spieler keinen Zugang (Duh!)
Mir haben die Abende in Split Fiction deutlich vor Augen geführt, dass mehr moderne Spiele Vereinfachungen brauchen.
Ich will niemandem die Dark-Souls-Schwierigkeit wegnehmen. Das ist für uns Gamer toll und befriedigend. Ich habe es ja auch geliebt, Expedition 33 auf Experte durchzuspielen und mag knackige Raidbosse in World of Warcraft.
Doch ich glaube, dass Spiele in den letzten Jahren so komplex geworden sind, dass sie gut daran täten, mehr an ihrer Zugänglichkeit zu arbeiten. Im Grunde sollte sich jeder Entwickler fragen: Wie kann mein Spiel dazu beitragen, dass jemand den Zugang zum Gaming findet, der damit bisher nichts am Hut hatte? Gerade Komplexitätsmonster wie auch World of Warcraft sind einfach zu schwer für Neulinge.
Das erklärt für mich auch, warum diese ganzen „dummen“ Handy-Spiele bei der älteren Generation so beliebt sind. Es liegt, so glaube ich, viel an der einfachen Steuerung ohne Zeitdruck. Man muss im Grunde kaum etwas Motorisches lernen und Dinge wie Hand-Augen-Koordination werden überhaupt nicht gebraucht. Das ist bei PC- und Konsolen-Spielen mit Action-Einlagen eben anders.
Ja, die “modernen” Tomb Raider wären auch eine ziemliche Herausforderung.
Das Spielen mit meinem Vater hat mir auch gezeigt, wie geschult meine Augen für das geworden sind, was die meisten von uns als „offensichtlich“ ansehen würden – aber es für Nicht-Gamer einfach nicht aus.
Das Level-Design in modernen Spielen ist durch Beleuchtung und Farbgebung so gestaltet, dass man auf den ersten Blick sieht: Ah, das ist der Weg, den wir gehen sollen. Egal ob es kleine Laternen am Wegesrand sind, hellere Farben oder schlicht die Gestaltung der Umgebung. Ich brauchte in der Regel nur zwei bis drei Sekunden, um zu erfassen, welche Richtung „das Spiel von mir will“.
Wenn mein Vater dann „Also bei Tomb Raider wäre hier jetzt was versteckt“ murmelt, während er versucht, sich durch eine für mich doch so schmerzhaft offensichtlich vollkommen unwichtige Vase zu glitchen, musste ich schon manchmal meinen mitleidigen „Jetzt erzählt Opa gleich wieder vom Krieg“-Blick unterdrücken.
Wir haben zwar rund das Doppelte an Spielzeit aus dem Spiel rausgeholt, weil der eine oder andere „simple Sprung“, sich dann doch als Geduldsprobe herausgestellt hat. Aber hey – am Ende haben wir es geschafft und dabei eine ganze Menge gelacht. Denn Split Fiction war einfach ein schönes und unterhaltsames Spiel und vielleicht eines der besten überhaupt, um jemanden an das moderne Gaming heranzuführen.
Jetzt bleibt nur die Frage, zu welchem Spiel ich ihn künftig nötigen werde. Habt ihr da ein paar gute Vorschläge? Denn ansonsten werde ich ihn wohl zu The Last of Us oder Detroit: Become Human zwingen.
Der Beitrag Videospiele sind extrem schwer geworden – ausgerechnet mein Vater hat mir das gezeigt erschien zuerst auf Mein-MMO.
