Vermutlich hat jeder Gamer ein Spiel, an das er sich Jahrzehnte später noch erinnert. Dieses eine besondere Spiel, das ihn bis ins Knochenmark geprägt hat, ihm alles beigebracht hat und sein Herz bis heute erwärmt, wenn man an diese Zeit zurückdenkt. Für unsere Video-Produzentin Anna Alberg ist es Tibia. Willkommen zu einer kleinen Zeitreise für die MMORPG-Themenwoche!
Ich werde nie vergessen, wie ich damals neben meinem Cousin auf dem Stuhl saß und ihm fasziniert zugeschaut habe, wie er Tibia zockt. Ich war 10 Jahre alt und lebte zu der Zeit noch in Polen. Tibia war im Jahr 2004 das erste Online-Game, mit dem ich in Berührung kam.
Klar spielte ich davor schon diverse Spiele wie „Die Sims“, „Pizza Connection 2“ oder „Gothic 2“, aber weil das Internet damals eine Seltenheit in meinem Land war, konnte ich nur davon träumen, mit anderen Menschen online zu spielen. Als ich 2006 mit meinen Eltern nach Deutschland gezogen war und wir endlich Internet hatten, lud ich ohne lange zu überlegen sofort Tibia herunter.
Nach LoL widmete sie sich World of Warcraft und war seit Legion in jedem Addon mit an Bord. Zurzeit versucht sie die Lücken in diversen RPGs zu füllen und ist für jedes gute Survival-Spiel zu haben.
Autoplay
Die unterirdische Höhle ohne Ausgang
Mein erster Charakter hieß „Klein Maedchen“ – total klischeehaft, ich weiß. Ich konnte noch nicht mal richtig Deutsch und schon gar nicht Englisch, was es nicht einfacher gemacht hat, da das Spiel komplett auf Englisch war. Zusätzlich war ich ein totaler Noob und habe mir einen Server ausgesucht, der Free-PvP unterstützte – ich hatte keine Ahnung, was das bedeutet. Aber dazu kommen wir noch.
Es gab damals keinerlei Einführung oder Tutorial und so streifte ich durch das Anfangsgebiet Rookgaard und bezwang in der Kanalisation meine ersten Gegner: die Ratten. Mit der Zeit traute ich mich auch mal in den Bereich außerhalb der Stadt und gelang an eine Öffnung in der Erde, auf die ich sehr mutig draufklickte. Immerhin war ich ja schon ein paar Level gestiegen und hatte etwas Ausrüstung.
Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie groß meine Verwirrung war, als ich zurückwollte, es aber keine Leiter nach draußen gab. Und da war ich, gefangen, mitten in einer Trollhöhle. Ein Spieler kam mir entgegen und ich fragte ihn verzweifelt um Hilfe. Er schrieb mir dann nur „use rope“ und verschwand wieder auf die Oberfläche. Ich glaube, ich verbrachte gut ein paar Stunden da unten, bis ich ein Seil fand und lernte, wie ich es benutze.
Andere Spieler wollten mein Loot
Tibia hat mich knallhart auf jedes folgende Spiel vorbereitet. Es brachte mir bei, wie ich Macros anlege, weil man jeden Zauber im Chat schreiben musste, um diesen zu nutzen. Es zeigte mir auch die toxische Seite der Gaming-Community, als ich in eine Falle lief, die andere Spieler aufgestellt hatten.
In den frühen Tibia-Versionen konnte man sich nämlich gegenseitig blocken. Man kam also an einem anderen Spielercharakter nicht vorbei, wenn es keinen Platz links oder rechts gab. Vor allem enge Tunneln oder Türme waren die perfekte Orte für eine Spieler-Falle, und wenn man starb, konnten andere das gesamte Inventar looten. Mich selbst hat es erwischt, als mich ein paar Spieler zu einem Turm mit starken Gegnern lockten, nur um mir dann den Weg zu versperren.
Ich lernte aber auch sehr viele nette Spieler kennen und auch meine erste große „Internetliebe“. Ihm bin ich begegnet, als ich in Tibia erstmals versuchte, Brot zu backen, er brachte es mir bei. Seitdem war er stets mein Begleiter und erklärte mir vieles im Spiel. Auch meine fragwürdige Serverwahl, die ich schon bald am eigenen Leib erfahren durfte.
In dieser Woche erwarten euch jeden Tag spannende Artikel rund um das Thema MMORPG. Mit dabei: eine Zeitreise durch die Geschichte der Online-Rollenspiele, aber auch nostalgische Rückblicke, Streaming-Abende, Interviews, Kolumnen und Analysen.
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Das Ende von „Klein Maedchen“
Wenn man ein gewisses Level erreichte, konnte man Rookgaard verlassen und auf die Hauptwelt reisen. Und obwohl mein Freund versuchte, mich davon abzubringen, entschied ich mich für die Stadt Thais und wurde in einen Tempel teleportiert. Nachdem ich den geschützten Bereich verlassen hatte, stürzten sich blutrünstige Spieler auf mich, und das immer und immer wieder.
Ich schaffte es nicht mal, die frisch bereiste Stadt ordentlich zu erkunden. Tja, der Charme des freien PvPs. Das war das Ende von „Klein Maedchen“ und ich erstellte mir zusammen mit meinem neuen Kumpel einen Charakter auf einem friedvollen Server – diesmal war ich viel besser vorbereitet.
Der Spaß mit dem eigenen Server kostete mich meinen PC
Tibia war für einen Einsteiger wie mich wirklich ein Hardcore-MMORPG. Ich lernte es direkt auf die harte Tour und … liebte es. Jedes weitere Spiel aus dem Genre, das ich ausprobiert habe, wie zum Beispiel Metin 2, fühlte sich im Vergleich viel zu einfach an. Also blieb ich Tibia treu.
Bis zu dem Moment, in dem ich herausfand, dass man in Tibia seine eigenen Server stellen kann. Mit eigenen Regeln, eigenen Monstern und eigenen Maps. Mein Server, den ich selbst gehostet hatte, wurde schnell beliebt – etwas zu beliebt für meinen alten PC, der irgendwann einfach zu qualmen begann und Feuer fing.
Es war eine wunderschöne Zeit, die ich für immer in meinem Herzen behalte. Erinnerungen, die mir bis heute ein Lächeln auf das Gesicht zaubern. Durch Tibia lernte ich Englisch und entdeckte meine Leidenschaft für Online-Spiele. Dafür bin ich bis heute dankbar.
Es tut ein kleines bisschen weh, zu wissen, dass so eine Erfahrung einmalig ist. Aber ich werde mich ewig an jeden Moment erinnern, und an den Himmel, den ich in Tibia nie erblickt habe (Achtung, Insider!). Übrigens, wusstet ihr? Tibia ist auch heute noch so erfolgreich, dass die Entwickler seit Jahren dicke Boni einstreichen.
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