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Beim Test werden wir unweigerlich an den Flop des Jahres MindsEye erinnert. Auch hier handelt es sich nämlich um ein Third-Person-Abenteuer, das zwar eine offene Spielwelt im Gepäck hat, diese aber in erster Linie nur als Kulisse für den storygetriebenen Ablauf nutzt. Doch Entwickler Hangar 13 zeigt, wie es besser geht.
Das Prequel zum Mafia-Franchise verabschiedet sich von den amerikanischen Großstädten der Vorgänger und schickt Euch im Jahr 1904 in das ländliche Sizilien. Dort schlüpft Ihr in die Rolle des Carusu Enzo Favara. Als Carusi bezeichnete man einst die Bergarbeiter in Sizilien, die meist entweder als Leibeigene oder in Form von aussichtslosen Schuldverträgen in Knechtschaft ausgebeutet wurden. Auch Enzo wurde als Kind an den mafiösen Minenbetreiber Don Spadaro verkauft.
Nach einem tödlichen Zwischenfall flieht Enzo auf ein Weingut und landet dabei in den rettenden Armen von Don Torrisi. In der 13-stündigen Story erlebt Ihr nun in 15 Kapiteln Enzos Aufstieg in der Familie vom Stalljungen zur Allzweckwaffe und wie sich seine Liebe zur eigensinnigen Tochter des Dons Isabella entwickelt.
Die Geschichte bleibt dabei stets unterhaltsam, nimmt sich angenehm viel Zeit für den Aufbau seiner Charaktere und wird klar durcherzählt. Doch ein Überraschungsfeuerwerk der Marke Like a Dragon solltet Ihr nicht erwarten und auch Genre-Filmklassiker wie ”Der Pate” boten hier schon mehr. Gerade die leider sehr durchschaubare Charakterzeichnung von einigen wichtigen Nebenfiguren wie Eurem Freund Cesare oder Tino, der rechten Hand des Don, sorgt sogar dafür, dass Ihr Euch frühzeitig den groben Verlauf zusammenreimen könnt. In diesem Kontext strichen wir sogar zwei Adjektive im Text zur näheren Beschreibung von Cesare und Tino, da wir sie schon als Spoiler empfanden.
Mafia: The Old Country als wunderhübschen Walking Simulator mit Action- und Schleicheinlagen zu bezeichnen, würde dem Spiel zwar nicht gerecht, aber ist nicht so weit weg von der Wahrheit. Die ersten etwa vier Stunden verbringt Ihr sehr viel Zeit damit, anderen Charakteren hinterherzulaufen oder -zureiten und filmische Zwischensequenzen anzusehen. Ihr solltet daher auf jeden Fall eine Vorliebe für ein gemächliches Tempo mitbringen. Gelungen ist hierbei, dass Euch die wenigen spielerischen Elemente des Spiels im Einklang mit der Story vermittelt werden, sodass wir hier nie das Gefühl von einem überlangen Tutorial hatten. Der spielerische Kern lässt sich auf drei Säulen herunterbrechen, die in der Reihenfolge oft einem ähnlichen Muster folgen.
Erst schleicht Ihr Euch durch überschaubare Areale und lenkt Feinde mit Münz- und Flaschenwürfen ab. Wachen dürft Ihr durch Würgen oder schneller mit einem Messer ausschalten. Wollt Ihr nicht erwischt werden, könnt Ihr wie Hitman-Agent 47 Eure Opfer in Kisten abladen. Da Gegner häufig einen geringen Bewegungsradius haben, ist das jedoch selten nötig.
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In einigen Missionen dürft Ihr auch ungestraft sofort zur zweiten Säule übergehen, die häufig ohnehin storytechnisch folgt – dem Deckungs-Shooter. Mit Pistolen, Flinten oder Einzelschussgewehren schaltet Ihr Widersacher in kurzweiligen Ballereien per Knarre oder Granaten aus.
Als Höhepunkt einer Auseinandersetzung dienen Messerkämpfe, die ähnlich funktionieren wie die Gefechte in Hellblade. Ihr weicht aus, kontert die Manöver Eurer Kontrahenten und reagiert im richtigen Moment mit eigenen Stichangriffen.
Im Gegensatz zu MindsEye gelingt es Mafia, Story und Spielinhalte mit dem richtigen Tempo gekonnt miteinander zu verknüpfen – und leistet sich auch keine groben Designschnitzer. Nie fühlt sich eine Sequenz zu lang an. Durch schicke Actionszenen oder eingestreute Missionen mit Verfolgungsjagden sowie Autorennen mit etwas zu leicht ausbrechenden Fahrzeugen kommt zusätzlich Abwechslung auf. Schade ist jedoch, dass die hier von den Entwicklern verwendeten Scripte respektive Gummiband-Effekte relativ offensichtlich sind, was das ohnehin eingeschränkte Freiheitsgefühl weiter reduziert. Ab und an dürft Ihr Euch zwar frei bewegen, doch wenn Ihr nicht im via Hauptmenü wählbaren Erkundungsmodus unterwegs seid, müsst Ihr meist in einem festen Missionsradius bleiben. Für unser Empfinden wird das von Hangar 13 geschaffene Sizilien unter anderem auch dadurch sehr unter Wert verkauft. Die italienische Insel sieht nämlich umwerfend schick aus. Egal, ob Ihr Euch auf Don Torrisis Weingut befindet, in Porto Almaro den Hafen besucht oder der Burgstadt San Celeste einen Besuch abstattet: Überall entdeckt Ihr feine Details wie musizierende Straßenkünstler, die zur gelungenen Atmosphäre beitragen.
Das Blöde ist nur, dass Ihr abseits von Sammelaufgaben keine Aktivitäten finden werdet. Ihr könnt zwar Zeitungsausschnitte, Antiquitäten und Fähigkeitenamulette einsacken oder Fotoplätze aufspüren, doch nötig ist das nicht. Sollte in Euch also kein Achievement-Jäger oder Städtetourist stecken, der sich einfach nur an der Schönheit der Spielwelt erfreut, dann werdet Ihr viele Ecken nie zu Gesicht bekommen. Das gilt erst recht, wenn Ihr das optionale Feature verwendet, längere Strecken bei Missionswegen direkt zu überspringen.
In Sachen Technik gibt es abseits von Schönheitsfehlern oder kurzen Lichtaussetzern wenig zu bemängeln. Abstürze oder schwerwiegende Bugs hatten wir keine. Kleinere Bugs wie an Euch vorbeiblickende NPCs – wenn Ihr Euch vorab ungünstig positioniert – sind selten. Den größten Makel entdecken wir immer wieder bei Truhen, die zum Verstecken unserer Opfer dienen. Hier wachsen gerne mal Levelobjekte wie Büsche oder Gräser durch den Boden der Truhen.
Die zwei Grafik-Modi “Qualität” und “Performance” sind meist stabil, jedoch kam es im “Performance”-Modis ab und an zu Senkungen der Bildrate, die jedoch während der Kampagne weniger auffallen. Besonders spürbar wird es im Erkundungs-Modus bei Besuchen am Hafen oder in San Celeste. Wer genau hinschaut, kann außerdem bei Autofahrten durch die schicke Landschaft beobachten, dass sich weit im Hintergrund der Landschaft einige Objekte ruckartig aufbauen. Schwerwiegend sind diese Probleme jedoch nicht und diese werden vermutlich schon bald mit kommenden Patches behoben werden. Unsere Freude am Gesamterlebnis konnten diese auf jeden Fall nicht schmälern. Sollte Euch seichte Action-Kost der Marke Uncharted nicht abschrecken, dann ist The Old Country auf jeden Fall mehr einen Blick wert.
Meinung
Steffen Heller meint: Ich freue mich, dass Mafia zu den Storywurzeln der ersten beiden Ableger zurückgekehrt ist. Gleichzeitig bin ich aber enttäuscht, dass die Geschichte nicht mithalten kann. Mir fehlten mindestens ein oder zwei überraschende Momente, die meine Erwartungshaltung vom Anfang gebrochen hätten. Das heißt aber nicht, dass ich nicht gut unterhalten wurde. Die Handlung ist bis auf einige Kanten gegen Ende stringent durcherzählt und der Spielrhythmus findet einen gelungenen Wechsel zwischen meditativen Entspannungsphasen und unterhaltsamer Balleraction. Auf nervige Minispiele für Aktivitäten wie Mistschaufeln verzichtet man glücklicherweise und sogar belanglose Reisewege lassen sich bequem überspringen, wenn ich gerade nicht in Ausflugsstimmung bin. Noch ein Tipp: Da im Deutschen einige Sprecher wie Don Torrisi oder Cesare eher fehlbesetzt sind und der italienische Akzent verloren geht, empfehle ich Euch, zumindest auf die englische Sprachausgabe zu wechseln.
Wertung
3 Schwierigkeitsgrade
längere Missionsfahrten überspringbar
separater Erkundungsmodus anwählbar
Die Handlung ist zwar vorhersehbar, aber wenn Ihr Gangsterfilme und storygetriebene Spiele ohne Ablenkungen liebt, dann seid Ihr hier gut aufgehoben.
Singleplayer78MultiplayerGrafikSound
