Auf der Gamescom spielte MeinMMO-Chefredakteurin Leya die Demo von Borderlands 4 und sprach die Entwickler im Anschluss. Sie unterhielten sich darüber, wie sich der Shooter jetzt erwachsener anfühlt und was es eigentlich mit einem macht, bereits eine Legende wie Handsome Jack erschaffen zu haben.
Was machst du, wenn du einen der ikonischsten Bösewichte der Gaming-Welt erschaffen und die Messlatte für dich selbst verdammt hoch gesetzt hast für alle, die noch folgen?
Genau das habe ich mich schon seit Jahren gefragt, wenn ich an Borderlands denke. Ich liebe diesen Loot-Shooter sehr, habe alles aus der Reihe gespielt – und Handsome Jack, mit seiner süffisanten, hinterlistigen und berechnenden Art, ist bis heute als Bösewicht unerreicht geblieben.
Auf der Gamescom sprach ich mit dem Senior Project Producer Anthony Nicholson und dem Lead Level Designer Jason Reiss genau über die Frage, die mir schon so lange unter den Fingernägeln brannte.
Das 10-minütige Interview binde ich euch hier als Video ein. Kleine Warnung: Wir hatten leider technische Probleme und ich selbst habe eine schlechte Ton-Qualität, aber Anthony und Jason sind gut zu verstehen:
Autoplay
Das Erbe von Handsome Jack
Nachdem ich etwa 40 Minuten Zeit hatte, mich durch die Demo von Borderlands 4 zu schießen und ganz schön viel Spaß dabei hatte, konnte ich noch 10 Minuten mit den beiden Entwicklern sprechen. Als wir allgemein auf das Thema des Bösewichts kamen, fragte ich die beiden gerade heraus, ob das eigentlich Druck erzeugen würde, einen neuen Bösewicht auf dem Niveau von Handsome Jack zu erschaffen. Darauf hatte Anthony sofort eine klare Antwort:
Ja, absolut.
Ich denke, jeder Künstler, jeder Schöpfer hat dieses Ding, zu dem sie ständig versuchen, entweder aufzusehen oder es zu übertreffen, aber das ist nicht unser Ziel. Wir sagen nicht: Oh, das wurde so gemacht, Jetzt müssen wir alles tun, um sicherzustellen, dass das [wieder] der Fall ist. Nein, wir haben super kreative und sehr talentierte Autoren. Und zusammen mit all den Directors und Leads unseres Projekts, die alle dazu beitragen, die Geschichte zu dem zu machen, was sie ist, wie wir sie erzählen und was die Charaktere im Laufe der Zeit tun können.
Jason fügte noch hinzu, dass jedes Borderlands eine separate Geschichte mit unterschiedlichen Bedeutungen besitzt und man hier auch entsprechend viele verschiedene Richtungen einschlagen kann.
Warum mir diese Frage überhaupt im Kopf schwirrte, lag auch am Vorgänger Borderlands 3. Seinerzeit standen die Calypso-Zwillinge in der Kritik. Ihre Richtung sah so aus: Die Schurken parodierten narzisstische Twitch-Streamer, gingen damit vielen auf die Nerven und hatten nie den Tiefgang, den Handsome Jack besitzt. Man kann sagen, sie waren einer der größten Kritikpunkte des Spiels.
Borderlands 4 will wieder ernster werden – und der Schurke?
Während ich die Demo auf der Gamescom spielte, ist mir vor allem aufgefallen, dass sich das Gameplay viel erwachsener anfühlte. Denn Gearbox hat sich aus meiner Sicht vor allem darauf fokussiert, dass sie das Shooter-Gameplay modernisierten und dabei auch das Movement stark verbesserten. Über Greifhaken, gleiten, schwimmen und mehr vertikales Gameplay, fühlt sich der Loot-Shooter viel ausgereifter an.
Da ich mir selbst nicht so recht erklären konnte, warum ich das so empfand, fragte ich die beiden, ob sie eine Theorie haben weshalb sich Borderlands 4 für mich erwachsener anfühlt. Anthony führte aus, wie aus seiner Sicht ihr neuer Antagonist, der Timekeeper, vermutlich seinen Teil dazu beiträgt:
Ich denke, wenn wir Spiele entwickeln und wir uns weiterentwickeln und vorwärtsgehen, wachsen auch wir auf. Und die Spieler wachsen mit uns. Und so gibt es einen Ansatz, der sich verbessert, der aber auch die Dinge mit einer anderen Linse betrachtet, damit wir ständig versuchen können, die Dinge besser und besser zu machen.
Ich denke aber auch daran, wie viel in diesem Teil mit dem Timekeeper auf dem Spiel steht und mit dem, was er ist. Es ist viel ernster. Der gesamte Planet ist in Gefahr, wegen dem, was diese Person tut. Man kann sehen, wie das Environmental Storytelling seinen Teil dazu beiträgt und wie verschiedene Fraktionen aufgestanden sind und versucht haben, sich zu wehren.
Und ja, von allem, was wir bisher über den Timekeeper wissen, scheint dieser in eine megalomanische und sehr finstere Richtung zu gehen.
Der Timekeeper herrscht als Diktator über den Gefängnis-Planeten Kairos, der lange Zeit durch eine von ihm erzeugte Barriere vor äußeren Einflüssen geschützt war. Er ist Anführer der Fraktion „Order“, die mit Gedankenkontrolle und totaler Überwachung arbeitet. Im Gegensatz zu früheren Borderlands-Schurken agiert er ruhig, berechnend und ist kaum zu provozieren, was ihn besonders bedrohlich erscheinen lässt.
Die eigentlichen Beweggründe und das wahre Wesen des Timekeepers sollen rätselhaft bleiben und im Spielverlauf näher enthüllt werden.
Das klingt alles schon nach einer sehr harten Dystopie und soll sich laut Anthony auch in der Optik des Spiels widerspiegeln, in der auch vieles eher düster gehalten ist. Man wolle sich mit der Atmosphäre eher irgendwo zwischen Borderlands 1 und Borderlands 2 ansiedeln.
Ich persönlich mochte die Calypso-Zwillinge schon für das, was sie waren. Bei narzistischen Influencern hatte ich auch nicht viel Tiefgang erwartet. Aber ich muss sagen, dieser neue Schurke macht mich schon richtig neugierig, weil er das genaue Gegenteil von den sonstigen schrillen Gestalten zu sein scheint, denen man sonst vor der Flinte in Borderlands begegnet.
Sein Wille, einen ganzen Planeten im Verborgenen zu halten, machen den Timekeeper zu einer faszinierenden Figur. Was ist seine Agenda?
Gameplay spiegelt das wider, was der Antagonist sein soll
Nachdem ich meine Eindrücke vom Gameplay und mein Gespräch mit den beiden Entwicklern etwas verarbeitet habe, ergibt sich bei mir ein stimmiges Gesamtbild.
Jason brachte noch einen guten Punkt, betreffend des Worldbuildings und Gameplays. Aus seiner Sicht, fühlt sich Borderlands 4 jetzt auch erwachsener an, durch die Logik, die in der Welt erschaffen werden musste:
Wenn man darüber nachdenkt, was wir früher machen konnten, da haben wir Level gemacht. Man hatte einen Level-Übergang, mit dem man woanders auftauchte. Und wir konnten ein bisschen vage sein, wie groß dieses Ding ist und wie der Weg dorthin aussieht, all diese Dinge. Aber mit der nahtlosen Welt ist alles real. Es ist ein realere Welt. Alles wird beeinflusst. Jeder. Der Fluss, den ihr da durchfließen seht, muss alle anderen interessanten Sehenswürdigkeiten erreichen. Und er muss vollständig umgesetzt werden oder wir erschaffen eine große Welt, die alles miteinander verbindet.
Ich denke, das schafft eine reifere Art von Umgebung.
Dadurch, dass sich Borderlands jetzt nochmal in seinen Systemen weiter entwickelt hat und ausgereifter ist, wurde ein Loot-Shooter kreiert, der sich erwachsener anfühlt. Aber ich kann euch versprechen, das chaotische Gefühl und die absurden Momente bleiben erhalten. Ich meine: Ich habe meine Waffe bei leerem Magazin weg geworfen, die dann neben mir herlief und von alleine mit mir zusammen geschossen hat. Herrlich!
Wenn ich jetzt darüber nachdenke, warum Handsome Jack schon damals so ikonisch war, war er vielleicht sogar Borderlands 2 in der Entwicklung voraus. Denn mit seiner Art, dich immer versuchen zu wollen irgendwie auf seine Seite zu ziehen und seine Motive am Schluss, das hatte tiefe, das war finster, das hatte Reife.
Und so ist die Reihe nicht hinterher gekommen, einen dermaßen ausgereiften Schurken zu erschaffen, den sie bereits 2012 besaß. Borderlands 4 scheint aber genau da zu sein und ich habe große Hoffnung in den Timekeeper. Es wäre cool, wenn hier ein Schurke auf der Augenhöhe von Handsome Jack geboten wird – aber oh, ich verstehe den Druck der Entwickler. Diese süffisanten Sprüche, diese fiese Lache, dieser falsche Charme… Das ist und bleibt einfach ganz großes Kino.
Was sind eure Hoffnungen für Borderlands 4?
Immerhin ist Randy Pitchford schonmal sehr von seinem Spiel überzeugt: Der Chef von Borderlands 4 meint, sein Spiel ist 170 Euro wert, würde es aber am liebsten verschenken. Hoffen wir mal sehr, dass er recht behält. Aber ich habe ein gutes Gefühl bei der Sache.
Der Beitrag Der Schatten von Handsome Jack: Wir fragten die Entwickler von Borderlands 4, wie hoch der Druck ist, neue Bösewichte zu erschaffen erschien zuerst auf Mein-MMO.
