Seite 1
Die Geschichte spielt zur Zeit der späten Ming-Dynastie in der chinesischen Provinz Shu. Das Land wird vom Federwahn befallen, der Menschen in gefiederte Ungetüme verwandelt. Wir schlüpfen in die Rolle der Piratin Bai Wuchang, die mit Federn am linken Arm, aber ohne Gedächtnis in einer Höhle erwacht. Das nötige Instrument, ihre Erinnerungen wiederzuerlangen und den Federwahn loszuwerden, erhält sie prompt: ein Langschwert. Denn es dürfte klar sein, dass auf ihrer Reise eine Menge Monsterschnetzeln bevorsteht – und kein Spaziergang, da Wuchang zu den berüchtigten Soulslikes zählt.
Die ersten Spielstunden sind sehr verwirrend, bisweilen frustrierend und Schwerstarbeit. Mit minimaler Gesundheit und einer schwachen Klinge sind bereits kleine Gegner eine große Hürde. Zum Glück ist einer der Nebeneffekte des Federwahns Wuchangs Talent, von besiegten Feinden hinterlassenes rotes Quecksilber in Stärke und neue Fähigkeiten umzuwandeln. Aber leichter gesagt als getan, denn wir verlieren einen Teil unseres gesammelten Quecksilbers, wenn wir im Kampf den Löffel abgeben. Um es zurückzuerlangen, müssen wir ohne zu sterben vom letzten Startpunkt der schlauchartig angelegten Abschnitte zum Ort des Ablebens zurückkehren.
Als Startpunkte fungieren Schreine, an denen wir beten, um im Skilltree-Menü das Quecksilber in Erfahrungspunkte umzutauschen und auf einem verzweigten Netzwerk zu verteilen. Punkt für Punkt schalten wir so bessere Gesundheits- und Ausdauerwerte, Waffenbeherrschung, Magie und andere Dinge frei, die im Kampf nützlich sind. An den recht spärlich in der Spielwelt verteilten Schreinen können wir außerdem Segen (Bonuseigenschaften) und Disziplinen (Special Moves) auf unsere Waffen legen, zu anderen bereits besuchten Schreinen teleportieren oder die Welt mit dem Großteil der erledigten Gegner neu starten.
Wuchang gibt Euch fünf Waffenarten an die Hand: Langschwerter, Einhandschwerter, Doppelklingen, Speere und Äxte. Jede Kategorie hat leichte (schnelle) und starke (langsame) Hiebe auf den rechten Schultertasten. Während die leichten Schläge mühelos aneinandergereiht werden können, braucht der schwere Angriff eine kurze Ladephase, die im Kampf zum Nachteil wird. Der Einsatz sollte also wohldurchdacht sein. Generell funktioniert das Kampfsystem in Wuchang gut und unkompliziert, lässt sich aber natürlich im Lauf des Spiels ausbauen. Unterwegs finden wir immer neue Exemplare jeder Waffenart, die mal mehr, mal weniger Durchschlagskraft haben. Jede Klinge hat eine Disziplin, die am Schrein zugewiesen wird, kommt allerdings standardmäßig auch mit einem spezifischen Special Move. Beide werden über die linken Schultertasten aktiviert.
Seite 2
Dieser spezifische Angriff kann es wert sein, die Waffe weiter aufzurüsten, selbst wenn sie nicht unbedingt die stärkste ist. Das geschieht nicht nur durch Verteilen von Stärke- oder Agilitätspunkten auf dem Skilltree, sondern auch durch die sogenannten ”Segen”. Dafür gibt es pro Klinge drei Slots, die wir mit unterwegs gefundenen Runensteinen bestücken, um etwa Feuerschaden, mehr Stärke, Zusammenspiel mit Magie oder Schadensverringerung freizuschalten. Vor allem Feuerschaden hat sich im Spiel generell als sehr nützlich erwiesen.
Warum aber schwächere Kriegswerkzeuge nur wegen des Spezialangriffs behalten? Unsere Heldin kann zwei Waffen tragen, die sich in der Kategorie unterscheiden dürfen. Während wir auf eine Hauptklinge vertrauen, haben wir immer eine Alternative in der Hinterhand, und der Knackpunkt kann hier der spezifische Special Move sein. Normalerweise tauschen wir die Waffe per Druck auf das Steuerkreuz gemächlich aus. Im Kampf ist es aber möglich, via Druck auf den linken Analogstick einen schnellen Wechsel durchzuführen. Das bedeutet, wir pfeffern dem Gegner eine Combo rein, machen den Schnellwechsel und führen angefangen mit dem automatisch ausgelösten Special Move der Waffe die Combo fort.
Dieser Schnellwechsel braucht aber mindestens eine Ladung Himmlische Macht. Im User Interface ist das eine Anzeige, die anhand von Federn unsere Magiereserven symbolisiert. Angefangen mit drei Ladungen, können wir die Anzahl über den Skilltree erhöhen. Aufgeladen wird generell über sauber ausgeführte Ausweichmanöver. Die Anzahl der Ladungen erkennen wir auch am farbigen Leuchten von Wuchangs Arm. Wenn wir eine unserer vier ausgerüsteten Magiefähigkeiten nutzen möchten, die von Projektilen über Rundumschaden und Zielsuchern einiges zu bieten haben, sehen wir sofort, ob die benötigte Zahl Ladungen erreicht ist.
Wir können sogar Waffenfähigkeiten freischalten, die uns bei einem Block oder Konter (jeweils ebenfalls freischaltbare Fähigkeiten, Schilde gibt es nicht) eine Ladung Himmlische Macht bescheren. Und Skills, die uns erlauben, eine Ladung Macht für einen sofortigen schweren Schlag ohne Aufladephase einzusetzen. Die Möglichkeiten für Combos steigen dadurch rapide.
Seite 3
Der Gegenpol zur Himmlischen Macht ist der durch den Federwahn steigende Wahnsinn: Mit jedem Tod und jedem erledigten menschlichen Gegner wird er größer. Einen genauen Wert können wir im Charaktermenü nachsehen, grob lässt sich der Fortschritt aber auch an der Färbung der Anzeige für die Himmlische Macht oder Wuchangs Augen ablesen. Werden beide rot, stehen wir kurz vor der Vollendung. Doch wie wirkt sich Wahnsinn im Spiel aus? Generell bedeutet es, dass wir stärker zulangen, aber mehr Schaden einstecken. Auch das gesammelte rote Quecksilber erhöht sich. Andererseits verlieren wir alles, wenn wir ins Gras beißen. Und wenn wir an den Ort unserer Niederlage zurückkehren, um es wieder einzusammeln, erwartet uns eine weitere Überraschung: Unser innerer Dämon manifestiert und muss besiegt werden, um das Quecksilber zurückzubekommen und den Wahnsinn zu beenden. Das ist kein triviales Unterfangen, doch nach und nach lernt man, die immer wechselnden Angriffsmuster zu kontern und ihn zu überwältigen.
Was, wenn wir plötzlich merken, dass wir für unsere Spielweise falsch gelevelt haben? Wuchang: Fallen Feathers ist in dieser Beziehung unglaublich flexibel und erlaubt uns jederzeit, die vergebenen Erfahrungspunkte auf dem Skilltree komplett neu zu verteilen. Das ist nützlich, wenn wir etwa einem schier unbezwingbaren Boss gegenüberstehen, denn wir können unterschiedliche Strategien ausprobieren. Die eigentlich bewährten Doppelklingen wollen nicht zum Erfolg beim Bossgegner führen? Probieren wir es doch mal mit dem Langschwert und der Blocken-Fähigkeit. Dieser jederzeit mögliche ”Re-Spec” macht das Spiel trotz seines mitunter immensen Schwierigkeitsgrads deutlich zugänglicher als viele andere Soulslikes.
Ist Wuchang am Ende vielleicht das bessere Dark Souls geworden? Nicht ganz. Gerade im Bereich des Erzählens seiner Geschichte ist es unterlegen. Geschwätzige Zwischensequenzen führen meist nur dazu, dass man noch mehr Fragezeichen vor Augen hat. Optisch ist das Spiel aber ein echter Gewinner: Es begeistert in seinen in sich zusammenlaufenden und eine Open World suggerierenden Schlauchlevels mit teils wunderschönen Landschaften, Wäldern und unheimlichen Höhlen. Doch gerade die Zugänglichkeit des Level-Systems und das gelungene Kampfsystem sind Punkte, die auch eher vor Soulslikes zurückschreckenden Naturen eine unerwartete Menge Spaß am genretypischen Frust bereiten könnten.
Meinung
Kai Schmidt meint: Ich muss zugeben, normalerweise sind mir Soulslikes zu frustrierend und arbeitsintensiv. Wuchang: Fallen Feathers hat mich allerdings durch seine Optik und das Setting so sehr angesprochen, dass ich ihm eine Chance geben wollte – und es hat tatsächlich ”klick” gemacht. Ich trotze in den rasanten Kämpfen mit all ihren Möglichkeiten übermächtigen Gegnern, sterbe, wage einen neuen Anlauf und grinse breit, wenn ich eine weitere Hürde überwunden habe. Und ich werde nicht von Hundertschaften von Waffen oder Items erschlagen. Vor allem der jederzeit mögliche Re-Spec hält meine Motivation hoch: Falls etwas schier unüberwindlich scheint, verteile ich die Punkte neu und probiere eine andere Taktik. Auch wenn ich mal stundenlang an einem Boss hänge, kommt durch dieses Experimentieren keine Langeweile oder Frust auf. Sogar wenn ich mit Alltagsdingen beschäftigt bin, schleicht sich immer wieder dieser Gedanke über die richtige Taktik für den aktuellen Boss ein, der zunächst unbesiegbar wirkt. Das Spiel lässt mich einfach nicht los. Ich liebe es!
Oliver Schultes meint: Was für eine Überraschung! Wuchang ist eine spielgewordene Mischung aus dem ersten Dark Souls (genial verzweigtes Leveldesign mit Abkürzungen) und der Nioh-Serie (genereller Look, flotter Spielablauf mit mehr Action), die angereichert mit einem flexiblen Skilltree-System die Experimentierfreude weckt. Ja, die Unreal-5-Technik auf PS5 ist nicht makellos, immer wieder ruckelt und stottert es in einigen Arealen. Ja, man kann sich aktuell Godlike-Builds erstellen, mit denen man blind schnetzelnd alles wegfegt. Und ja, so mancher Kniff beim Weltendesign und einige Bosse erinnern frappierend ans FromSoftware-Werk. Unterm Strich steht dennoch ein hochmotivierendes Soulslike mit einem fantastischen Kampf-Erkundungs-Flow in herausragend konstruierten Umgebungen. Vergesst daher die ungerechtfertigten Verrisse auf Steam!
Wertung
5 gut designte Kapitel
schlauchartiges Leveldesign, fühlt sich aber ”offen” an
keine Schwierigkeitsgrade
”New Game +”-Modus
Dreist wie gekonnt abgekupfertes Soulslike, das mit eigenen Ideen und Quality-of-Life-Mechaniken begeistert – schwer, aber nicht unschaffbar.
Singleplayer89MultiplayerGrafikSound
