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Bis vor Kurzem war die PSP-Fassung von Gran Turismo das Duke Nukem Forever der Rennspiele: vor Jahren mit einem Konzept-Screenshot angekündigt und seitdem verschollen oder nur gelegentlich mit ’Das ist immer noch in Arbeit’-Meldungen aus Japan am Leben erhalten. Zur E3 im Juni änderte sich das Bild: Eine spielbare Version wurde präsentiert und der erstaunlich frühe Veröffentlichungstermin verkündet – zeitgleich mit der PSPgo ist Gran Turismo zum 1. Oktober erhältlich. Was Ihr dann auf UMD oder als digitalen Download erhaltet, sorgt in der Redaktion für zwiespältige Meinungen: Kazunori Yamauchis Handheld-Rennsimulation ist gleichzeitig eine mitreißende PS-Wundertüte und ein Musterbeispiel für nicht-existentes Spieldesign.
Fassen wir zuerst die unstrittigen Aspekte zusammen: In Sachen Umfang steckt Gran Turismo mit 840 Autos und 45 Strecken alle PSP-Rivalen in die Tasche. Die Kurse stammen überwiegend aus Episode 4 der Serie, mit Valencia findet sich nur ein Neuzugang, der nicht sonderlich spektakulär aussieht. Grafisch setzt sich die Raserei an die Genrespitze: Die Automodelle glänzen durch zahlreiche Details und überraschen mit einer richtigen Cockpit-Ansicht. Zwar fehlt ein animiertes Lenkrad, doch individuelle Eigenheiten der Boliden bis hin zu funktionierenden Außenspiegeln wurden eingearbeitet. Diese Perspektive bietet das beste Tempogefühl, während die Varianten hinter bzw. über dem Vehikel etwas statisch wirken. Auf vereinzelten Strecken fallen kleine Macken wie einige verwaschene Texturen und Polygonkantenblitzer auf, generell wird aber ein hohes Niveau erreicht: Gerade Kurse, die durch bebaute Gebiete wie New York führen, bringen hochkarätige Grafikpracht auf das kleine Display.
Wie gewohnt ist eine umfangreiche Fahrschule dabei, die Euch in über 100 Herausforderungen die Grundzüge des Vollgaslebens vermittelt: Überwiegend geht es darum, Kurvenpassagen innerhalb eines Zeitlimits fehlerfrei zu nehmen oder in einer Passage Kontrahenten ohne ruppige Manöver zu überholen. So macht Ihr Euch auch mit den Unterschieden der Antriebsarten und dem Fahrverhalten vertraut, das den großen Konsolen-Brüdern nicht nachsteht.
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Davon abgesehen setzt Gran Turismo konsequent auf das Zwischendurch- und Sammel-Prinzip: Fahrt einzelne Rennen und kauft Fahrzeuge – das war’s. Nicht einmal ein rudimentärer Karriere-Modus ist vorhanden, als alternative Renntypen stehen lediglich der von GT 5 Prologue bekannte Driftwettbewerb sowie die Zeitjagd zur Verfügung. Die Einstellmöglichkeiten beschränken sich auf Rundenzahl, Schwierigkeitsstufe (bei der Ihr pro Stecke immer erst mit der niedrigsten anfangen müsst) und Gegnerautos (sie fahren genau Euer oder sonst ähnliche Vehikel). Apropos Gegner, Ihr tretet stets gegen ein Computer-Trio an, mehr (oder weniger) sind nicht vorgesehen. Nun ist das eine feine Sache, wenn man einfach mal eine Partie spielen will, doch längerfristig motivierende Alternativen wie eine Kampagne vermissen wir schmerzlich. Als Belohnung kassiert Ihr lediglich Geld, mit dem Ihr neue Autos kauft, denn zu Beginn könnt Ihr zwar alle Kurse wählen, besitzt aber nur einen Boliden.
Nun sollte man meinen, dass Polyphony Digital angesichts des reichhaltigen Fuhrparks daran gelegen sein sollte, dem Spieler den Zugang zu den Flitzern zu erleichtern – doch weit gefehlt. Im Autohaus-Menüpunkt findet Ihr stets nur vier Hersteller, von denen jeweils maximal zehn Modelle angeboten werden. Alle zwei virtuellen Spieltage wechselt das Sortiment zufällig – wer also z.B. einen Ferrari haben will, muss darauf hoffen, dass die italienische Nobelmarke irgendwann einmal auftaucht, doch das kann dauern…
Das ist den Entwicklern durchaus bewusst, statt aber das merkwürdige Konzept entsprechend zu ändern, empfehlen sie kurzerhand in der integrierten Anleitung, man solle doch einfach mehr mit Freunden spielen und Autos tauschen. Einen Online-Modus gibt es aber nicht, somit müsst Ihr die Kumpels in einem Raum versammeln. Dann stehen die gleichen Rennoptionen und sogar noch mehr zur Verfügung: So lassen sich verschiedene Handicaps wie versetzte Startplätze oder Leistungsboni bzw. -abzüge einstellen, um unterschiedliches Können auszugleichen. Wer unbedingt will, kann einen KI-Fahrer einsetzen, der sich an den im Solospiel gezeigten Leistungen orientiert. Abschließend sorgt ein Zufallselement dafür, dass manchmal das Preisgeld nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip ausgeschüttet wird.
Gran Turismo auf der PSP kann viel und bietet viel, wenn Euch Fahrübungen und einzelne Rennen reichen. Die sind mit kleinen Einschränkungen großartig umgesetzt und werden dem großen Namen gerecht. Weil aber darüber hinaus eine ganze Menge fehlt, was man von einem modernen Rennspiel erwarten kann, bleibt ein zwiespältiges Gefühl – und das Fazit, dass das Gesamtwerk in dieser Form nicht prädikatswürdig ist.
Meinung
Ulrich Steppberger meint: War es am Ende doch die Zeitnot? Gran Turismo wirkt auf mich wie ein halbfertiges Spiel: An Grafik (gerade die Stadt- und Bergstrecken sehen sehr lecker aus) und Fahrverhalten (fühlt sich einfach richtig an) gibt es nichts zu meckern, auch die Prüfungen entsprechen den Erwartungen. Doch wo ist der Rest abgeblieben? Aufs Häppchen-Zocken für unterwegs zu optimieren, ist prinzipiell löblich, aber gar keine Karriere anzubieten, finde ich schwach. Die Idee mit dem KI-Fahrer für Mehrspieler-Duelle ist kein Ersatz, zumal es keine Online-Unterstützung gibt. Auch über bizarre Widersprüche wie tonnenweise Autos hineinzupacken, diese aber durch willkürliche Einschränkungen des Shop-Systems schwer zugänglich zu machen, kann ich nur den Kopf schütteln.
Oliver Schultes meint: Ich stimme meinem Kollegen Ulrich grundsätzlich zu: Ein Karriere-Modus hätte dem Spiel nicht geschadet. Aber sein Fehlen brachte mich dazu, die Fahrtests zu absolvieren. Und was soll ich sagen: Sie fesselten mich ans virtuelle Lenkrad wie damals die Führerscheinprüfungen aus dem PlayStation-Erstling – das schürt meine Vorfreude auf Gran Turismo 5 nur noch mehr. Fahrverhalten, Grafik, Sound und schierer Umfang sind überwältigend, der umständliche Autokauf mit den zufällig auftauchenden Marken ist dagegen einfach nur käsig – warum gibt es nach einem Rennen keinen ’Hier geht’s zum Händler’-Shortcut-Button? Ebenfalls seltsam: die Polygonkanten-Blitzer auf einigen Strecken. Kazunori Yamauchi und sein Team sind bekannt für ihre krankhafte Detailversessenheit – das macht diese kleinen Grafikfehler doppelt unschön.
Wertung
45 Strecken, darunter 1 neue (Valencia)
840 Autos von 87 Herstellern
umfangreiche Fahrherausforderungen
kein echter Karriere-Modus
Autotausch via Wi-Fi möglich
Nicht nur technisch beeindruckende Fahrsimulation mit massig Autos und Strecken, der es an Spielmodi mangelt.
Singleplayer84MultiplayerGrafikSound
