Seite 1
Spieldesigner Tim Schafer ist ein Geschichtenerzähler, der sich meisterhaft auf die Erschaffung skurriler Charaktere versteht. Das beweist er seit 20 Jahren, und auch sein neuestes Werk Brütal Legend glänzt mit Protagonisten jenseits des Mainstreams. Als eine Hommage auf den Heavy Metal konzipiert, schlüpft Ihr in die Rolle des Roadies Eddie Riggs, der sich nach seinem plötzlichen Ableben in einer bizarren Zwischenwelt wiederfindet. Wahre Metal-Musik ist dort verpönt, der auftoupierte General Lionwhyte führt mit seinen Hair-Metal- beziehungsweise Glamrock-Vasallen ein übles Regiment und beweist obendrein einen miesen Musikgeschmack – im Hintergrund zieht jedoch sein Boss, der vierhörnige Teufel Doviculus, die Fäden.
Mit Streitaxt und E-Gitarre bewaffnet zieht Eddie aus, dem Land die echten metallischen Klänge zurückzugeben. Was folgt, ist eine durchgeknallte Mixtur aus Hack’n’Slay, Echtzeit-Strategie, Open-World-Adventure und Rennspiel.
Folgt Ihr strikt dem Hauptstrang der Story, durchquert Ihr zwar einmal die wie lebendig gewordene Plattencover wirkende Welt, verpasst allerdings etwa die Hälfte aller Quests – und seht obendrein bereits nach etwa sechs Stunden den Abspann. Immerhin dürft Ihr nach dem Endkampf die restlichen Missionen angehen und die Landschaften (u.a. Sumpf, Eiswelt, Lava-Ödnis und Grassteppe) in aller Ruhe… pardon… untermalt von der passenden Metal-Mucke erkunden.
Die Quest-Aufgaben umfassen drei Grundtypen: In den Hack’n’Slay-Abschnitten metzelt Ihr Euch durch Wellen von Gegnern, die Ihr per Axt-Combo und Gitarren-Attacke zurück in die Hölle schickt. Eddies Flying-V-Klampfe erzeugt auf Knopfdruck zuckende Blitze und Fontänen aus Feuer. Einen Hauch Rennspiel hat Brütal Legend ebenfalls zu bieten: Ab und an fordert Euch ein Großmaul zum Duell heraus – dann steigt Eddie in seinen flammenbepinselten Hotrod und gibt ordentlich Gummi. An anderer Stelle muss er mit seinem ’Teufel’ getauften Fahrzeug aus einem einstürzenden Komplex flüchten. Drittes und neben den Hack’n’Slay-Einlagen bestimmendes Element sind Echtzeit-Strategie-Schlachten – meist gegen Zwischenbosse. Eine Konzertbühne dient Euch dabei als Basis und Truppengenerator. Via Tastenkommando erschafft Ihr etwa stiernackige Headbanger, mit Lasergewehren bewaffnete Amazonen, Trike fahrende Bassisten mit Heilkräften, Verstärkertürme tragende Roadies und die ultimative Waffe, den Riesenschwert schleudernden ’Felsbrecher’. Eure Helfer dirigiert Ihr mit vier einfachen Befehlen (Angriff, Stellung halten, in Eddies Nähe sammeln und zur Markierung vorrücken) übers Schlachtfeld. Jede Einheit verfügt zudem über einen Teammove: So klettert Eddie beispielsweise auf die Verstärker seiner Roadies und führt verheerende Schallattacken aus oder er wirft eine Kampfblondine auf die verdutzten Feinde. Um in dem Getümmel einigermaßen den Überblick zu behalten, schwingt sich Eddie auf Wunsch wie ein Gargoyle in die Lüfte und dirigiert die Truppen von oben.
Seite 2
Brütal Legends‘ Stärke liegt in der originellen Aufmachung: Ausdrucksstarke Charaktere mit den Originalstimmen der Vorbilder (u.a. Schauspieler Jack Black, Rob Halford von Judas Priest und Lemmy Kilmister von Motörhead) bilden zusammen mit den 107 lizenzierten und teils aus dem Underground stammenden Metal-Songs das gelungene Fundament. Die Monster, welche dem Geist von Hieronymus Bosch entsprungen sein könnten, sind großteils sensationell: Habt Ihr schon mal ein aus zwei Guillotinen zusammengesetztes Wesen gesehen, dessen Schwanz aus einer pendelnden Klinge besteht? Oder die vielen kleinen witzigen Details: etwa steinerne Drachen, die von S&M-Ledergurten samt rotem Beißball malträtiert werden; Blumen, die die Form des Teufelsgrußes haben, und die Abfrage, ob man alle Schimpfwörter oder lieber an deren Stelle die aus den USA bekannten Piepser hören möchte. Auch Ozzy Osbournes Gastauftritt als ’Hüter des Metal’ ist gelungen: Mit seinen markigen Sprüchen versucht er Euch Waffen-Upgrades und Extras für Eddies Hotrod aufzuschwatzen. Und das alles in einer Welt, die erstens abwechslungsreich gestaltet ist und zweitens Unmengen an Metal-Klischees zitiert: Von antiken Riesenschwertern, die im Boden stecken, über knapp bekleidete Gothic-Ladys bis hin zu den Ledermützen tragenden Bikern fährt Schafer das volle Programm auf. Die stärksten Momente sind schließlich die Szenen, in denen die Musik mit dem Geschehen auf dem Bildschirm harmoniert: zum Beispiel, wenn Ozzy ”Mr. Crowley” schluchzt und Eddies große Liebe gleichzeitig in die Welt des Bösen abtaucht.
Von solchen Augenblicken gibt es jedoch viel zu wenige, hier haben Schafer und sein Team enormes Potenzial verschenkt. Auch lassen Gagdichte und Originalität der Story nach dem starken Auftakt merklich nach – und das, obwohl nur sechs Spielstunden gefüllt werden mussten. Schwerer wiegen allerdings die Nachlässigkeiten im Spieldesign: Gegner laufen in einem Anfall von KI-Demenz beharrlich gegen Steine, Eddies Hotrod bleibt an einem wenige Zentimeter hohen Bärenfell hängen, die Truppen lassen sich aufgrund eingeschränkter Kommandos nur unzureichend übers Spielfeld dirigieren und die Rennsequenzen wirken so krude wie die veraltete Grafik – es ruckelt, teart und die Texturen scheinen direkt von der alten Xbox zu kommen.
Lässt man die gelungene Aufmachung außer Acht, bleibt ein unausgegorenes spielerisches Gerüst. Wer nicht auf Heavy Metal steht, sollte daher besser einen Bogen um Brütal Legend machen – Anhänger der härteren Musik erleben aber einige unterhaltsame Stunden.
Meinung
Oliver Schultes meint: Die Mischung aus Action, Abenteuer, Strategie und Rennspiel wirkt unfertig – keines dieser Elemente kommt über Mittelmaß hinaus. Die Entwickler hätten sich auf den kurzweiligen Hack’n’Slay-Part konzentrieren und ihn optimieren sollen. Dann wäre genügend Zeit geblieben, die guten Ansätze (Humor, liebevolles Design, geschmackvolle Musikauswahl, originelles Setting) schlüssig auszuarbeiten und die Technik auf den aktuellen Stand zu bringen. Brütal Legend hat allerdings auch seine bezaubernden Momente: Die Mimik der Charaktere, Dialoge und Sprachqualität – vor allem im englischen Original – sind auf höchstem Niveau; Metal-Kenner werden ob der vielen Anspielungen des Öfteren in breites Grinsen ausbrechen. Und sich beim ”Hall of the Mountain King”-Song, der erstmals auf offenem Feld (!) erklingt, die langen Haare raufen.
Michael Herde meint: Ich stimme Olivers Kritik zu: Brütal Legend ist spielerisch primitiv und strotzt vor Mängeln – vor allem bei den quirligen Strategie- sowie den Auto-Einlagen. Der abgedrehte Humor macht hingegen eine Menge Spaß, allerdings bleiben Ozzy Osbourne & Co. leider eine Randerscheinung und die hervorragende Musikauswahl kommt fast nur bei Autofahrten zur Geltung. Die nerven bald mangels Minimap, weil ich permanent pausieren muss, um auf der Karte nach dem Weg zu sehen. Für mich als Metalhead eine Offenbarung: in der Schlacht gegen burtoneske Gothics skurrile Truppen bauen, während Cradle of Filth aus den Boxen kreischen oder die Nordmänner Enslaved im Schneegebirge musizieren. Da bleibe ich gerne stehen und genieße – ungeachtet aller Mängel.
Wertung
prominente Sprecher im englischen Original (u.a. Tim Curry und Rob Halford); deutsche Synchronstimme von Jack Black
22 Kapitel + Nebenquests
Ein Hack’n’Slay-Racing-Echtzeit-Strategie-Spiel wie Underground-Metal: charmante Ideen, aber arg holprig produziert.
Singleplayer70MultiplayerGrafikSound
