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Nach langer Talfahrt erlebte Konamis ikonische Survival-Horror-Serie im letzten Jahr ihren zweiten Frühling, als sich das vorab skeptisch beäugte Remake von Silent Hill 2 als Volltreffer entpuppte. Mit Silent Hill f soll es genauso erfolgreich weitergehen und dabei ein groß angelegter Tapetenwechsel helfen, der vor allem mit seinem 1960er-Jahre-Japan-Setting und Soulslike-Vergleichen von sich reden machte. Letztlich ist es aber ein anderer Aspekt, der Silent Hill f auf eine Stufe mit den Serienhöhepunkten hievt.
Nach außen lebt Hinako Shimizu das gewöhnliche Leben einer Oberschülerin im verschlafenen Bergstädtchen Ebisugaoka. Tatsächlich trägt sie aber ein schweres Kreuz: Als ”schwarzes Schaf” der Familie gerät sie regelmäßig mit ihrem herrischen Vater aneinander, im Freundeskreis scheint sie sich an unterschwellige Missgunst und freundlich verschleierte Seitenhiebe ihrer Schulkameradinnen gewöhnt zu haben. Als sich ein mysteriöser Nebel über die Stadt legt, der groteske Monster mit sich bringt, seid Ihr eingangs beinahe verleitet, diese Probleme als nebensächlich abzutun. Ganz im Gegenteil jedoch markiert der schaurige Einstieg vielmehr den Startschuss für eine fesselnde, beeindruckend komplexe und zuweilen arg verstörende Reise in Hinakos Psyche.
Das lässt sich in den ersten Stunden allenfalls erahnen, entfaltet sich die Geschichte doch sehr behutsam in Form von kryptischen Zwischensequenzen, jeder Menge Dokumenten und bedeutungsschwangerer Bildsprache. Ihr rätselt und spekuliert mit jedem neuen Mosaikstück, stellt Theorien auf und verwerft sie. Das tut Ihr inmitten eines beeindruckend präsentierten Albtraums, der ganz im Sinne der Entwicklervision in Szene gesetzt ist. ”Die Schönheit im Schrecken zu finden”, fällt nicht schwer. Silent Hill f ist bis in die Haarspitzen mit großer Stilsicherheit und Liebe zum Detail durchgestaltet. Von der authentisch umgesetzten Bergdorf-Kulisse und dem unheilbringenden Blütenmeer, das sich immer mehr über sie legt, über kreativ-makabre Monsterdesigns bis zur einnehmenden Tonspur, die gleichermaßen mit hervorragendem Sounddesign wie experimenteller Musik von Akira Yamaoka und Kensuke Inage begeistert – alles strotzt nur so vor unheimlicher, aber eben auch unheimlich schöner Atmosphäre.
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Die schönste Verpackung hilft aber nur, wenn auch der Inhalt überzeugt – der kompetent umgesetzte Genrevertreter im Stile der Vorgänger empfängt Fans und Serienneulinge mit offenen Armen. Der Mix aus stimmungsvoller Erkundung, cleveren Rätseln und frischem Action-Fokus überrascht zwar kaum, bereitet über weite Strecken jedoch zuverlässig Spaß. Ein paar Stolpersteine gibt es dann aber doch: Die grundsätzlich gelungenen Rätsel lassen gelegentlich zu großen interpretatorischen Spielraum, während manch künstliche Blockade bei der Erkundung für Stirnrunzeln sorgt. Wenn Ihr beispielsweise langwierig dem Schlüssel für eine brusthohe Zauntür nachjagen müsst, die jeder Teenager einfach überspringen würde, kratzt das an der Immersion.
Auch das actionreichere Kampfsystem ist ein zweischneidiges Schwert. Ihr setzt Feinden mit leichten und schweren Angriffen zu, weicht aus oder pariert bestimmte Attacken, um Monster kurzfristig zu betäuben. Dabei müsst Ihr sowohl Eure Ausdauer als auch Euren Verstand berücksichtigen: Letzterer nimmt ab, wenn Ihr Euch fokussiert, um so die Zeit zu verlangsamen. Die Elemente greifen gut ineinander und ergeben sogar ein stimmigeres Kampfsystem als im letztjährigen Silent Hill 2. Vor allem die toll präsentierten Zweikämpfe gegen grotesk gestaltete und spielerisch angenehm herausfordernde Bosse bereiten Spaß. Sieht sich Hinako allerdings mit mehreren wendigen Biestern konfrontiert, gerät das behäbige Kampfsystem schon mal an seine Grenzen. Das kann durchaus nerven, gerade weil Silent Hill f sich nicht der typischen Genrekrankheit entzieht, Euch in der Schlussetappe regelmäßig mit zahlreichen Feinden zu ärgern.
In nennenswertem Frust münden diese Unzulänglichkeiten aber nie, eher dürftet Ihr Euch sogar gleich zu einem weiteren Durchgang animiert fühlen, sobald der Abspann vorüber ist. Silent Hill f findet nämlich einen interessanten Ansatz zur Entfaltung seiner Geschichte: Nach dem ersten Durchspielen steht Ihr vor zahlreichen offenen Fragen, die nur im Rahmen mindestens zweier weiterer Durchgänge vollständig geklärt werden. Das mag erst einmal öde klingen, gestaltet sich in der Praxis aber als äußerst faszinierend, warten diese doch mit neuen Spielinhalten, abgewandelten Zwischensequenzen und frischen Dokumenten auf, die neue Perspektiven und ein immer schlüssigeres Bild der Geschichte zulassen. Die Mitnahme von Upgrades und Talismanen aus dem vorherigen Durchlauf erleichtern die nächsten Durchgänge zudem merklich.
So könnt Ihr Euch ganz auf die Geschichte konzentrieren, die diverse spannende und miteinander verwobene Themen mit dem nötigen Feingefühl anpackt. Tendiert man eingangs noch zu bequemen Schwarz-Weiß-Urteilen, zeigt ”Higurashi When They Cry”-Autor Ryukishi07 im Verlauf ganz meisterlich die Komplexität seiner Materie und Vielschichtigkeit seiner Figuren auf. Ein Umstand, der vorbildlich zur Reflexion über die Spielzeit hinaus einlädt und Silent Hill f nicht nur zu einem denkwürdigen Horrorspiel, sondern einer der besten Episoden der Serie macht.
Meinung
Kevin Pinhao meint: Wer hätte vor einiger Zeit gedacht, dass 2025 ein brandneues Silent Hill auf dem Niveau der Klassiker mitspielen kann? Ja, reduziert man Silent Hill f auf seine Spielsysteme, präsentiert es sich lediglich als kompetent umgesetzter Genrevertreter, der auf altbekannten, aber eben auch altbewährten Pfaden wandelt. Das würde ihm aber nicht gerecht werden. Zum einen, weil trotz umfänglichen Tapetenwechsels der Kern der Serie bewahrt und darüber hinaus ein Lehrstück in Sachen audiovisuellem Horror und Atmosphäre aufgetischt wird. Zum anderen, weil Autor Ryukishi07 komplexe und wichtige Themen mit Sorgfalt und auf eine Art und Weise aufbereitet, wie es nur im Medium Videospiel möglich ist. Silent Hill f ist gewiss nicht ohne Kanten, aber es ist eines der denkwürdigsten Spielerlebnisse des Jahres.
Wertung
separate Schwierigkeitsgrade für Kämpfe und Rätsel
insgesamt 5 Enden (darunter auch ein serientypisches Ende)
Der nächste Volltreffer: ”Silent Hill f” entpuppt sich als vielschichtiges und denkwürdiges Horrorfest auf dem hohen Niveau der Serienanfänge.
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