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Mit hellseherischen Fähigkeiten ist das so eine Sache: Die Taktiken feindlicher Heerführer vorherzusagen, ist ausgesprochen nützlich – ebenso wie die Fähigkeit, beim fürstlichen Pferderennen zielsicher auf den Gewinner setzen und huflahme Schindmähren von vornherein aussortieren zu können. Aber das Wissen um das eigene Sterbedatum – das beschert einem dann doch die eine oder andere schlaflose Nacht.
Auch Tamriels Herrscher Uriel Septim ist mit dieser zweifelhaften Gabe gesegnet: Doch leider weiß der Monarch über den Hauptkontinent in Bethesdas ”Elder Scrolls”-Welt ebenso wenig wie unsereins, was bzw. wer ihm das Ende beschert. Deshalb muss er hilflos dabei zusehen, wie eines Nachts kultische Kuttenträger seine Nachkommen meucheln – um sich dann schließlich an die Fersen des Kasiers höchstselbst zu heften. Der indes flüchtet zusammen mit einem Häuflein Getreuer durch die Schloss-Katakomben in der bangen Hoffnung, den Moment seines Todes noch ein wenig hinauszögern und dem Niedergang seiner Dynastie vorbeugen zu können. Darum vertraut er ausgerechnet Euch – zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als ein in Lumpen und rostige Ersatzteile gehüllter Ex-Knasti, gerade erst durch die Gnade des Herrschers dem feuchten Verlies entronnen – sein größtes Geheimnis an: Irgendwo in den Wäldern Tamriels lebt Uriels unehelicher Sohn, und auf dessen Schultern soll bald das Schicksal des ganzen Imperiums ruhen.
Aber bevor es so weit ist, müsst Ihr den hoheitlichen Bastard erst finden: Keine leichte Aufgabe, denn einmal mehr hat US-Entwickler Bethesda mit viel grafischer Finesse und rollenspielerischer Detailversessenheit eine Welt aus dem 3D-Boden gestampft, in der sich selbst fußfitte Abenteurer die Treter wund laufen. Zwar steht schnell ein treues Hottehü bereit, auf dessen bald krumm gehocktem Hohlkreuz Ihr Eure eigene Gesundheit schonen dürft. Doch selbst hoch zu Rosse verschlingt die Reise durch baumreichen Wald und von flauschigem Gras bewachsene Flur viele Stunden. Und das nicht nur, weil allenthalben wütende Wegelagerer oder gemeingefährliches Getier aus dem Unterholz brechen – nein, auch das gemächliche Tempo, das Euer Avatar so an den Tag legt, wenn er (vorzugsweise) aus der Ego-Perspektive durch die Pampa scrollt, zieht die Reise durch die ohnehin schon riesige 3D-Spielwiese erheblich in die Länge. Das ist übrigens seit jeher die Elder Scrolls-Gangart: eine Gangart, die besonders all jene Rollenspieler lockt, die gerne abseits des goldenen Handlungsfadens durch Städte, Verliese bzw. Ruinen forschen. Eine Gangart für Freizeithelden, die das Abenteuer an sich und gut entwickelte Charaktere mehr schätzen als zügiges Vorankommen.
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Was nicht heißen soll, dass es der Oblivion-Welt an Action mangelt: Schon immer ging’s beim Erforschen von Tamriel, Morrowind und den benachbarten Ländereien in Echtzeit zur Sache (The Elder Scrolls 3: Morrowind erschien auf der Xbox und markiert damit den Konsolen-Einstand der sonst auf PCs beheimateten Serie). Euer Alter Ego zieht keckernden Goblins, Räubern und quiekendem Schalengetier in Action-Manier einen Scheitel, schickt wie ein Ego-Ballermann Pfeile, Bolzen oder Feuerbälle durch den Äther und geht bei Gefahr hinter seinem Schild in Deckung. Das haarfein in Attribute, Fertigkeiten und andere Werte unterteilte Datenbeiwerk ist dabei weitgehend unsichtbar und bestimmt allein, ob bzw. wie stark Ihr trefft. Entscheidend für den Fortschritt Eurer Figur sind demnach auch keine abstrakten Werte wie Erfahrungspunkte: Vielmehr bestimmt die Häufigkeit, mit der Ihr eine Fertigkeit einsetzt, über ihren Anstieg. Oder genauer: Wer ausschließlich das Schwert zückt, der steigert automatisch seinen Wert für Klingenwaffen – aber alle anderen Talente lässt er verkümmern.
Ähnlich abhängig von Euren Werten, aber wesentlich beschaulicher sind die zahlreichen Schwätzchen, in denen Ihr gleichermaßen Informationen wie Reputation sammelt: Je nachdem, wie geschickt Ihr Euch durch den Frage-Antwort-Dschungel manövriert und bei einem verratschten Minispiel abschneidet (lässt sich durch ein kleines Bestechungsgeld wesentlich erleichtern), steigt bzw. sinkt Eurer Konversations-Talent – und mit ihm Euer Ansehen bei den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen des Kontinents.
Während Euch die Eindeutschung des umfangreichen Gefasels auf der Xbox 360 eher behinderte denn half, hat man die Zeit seit dieser ersten Veröffentlichung des Mammut-Rollenspiels genutzt, um die zahllosen Lokalisierungs-Fauxpas zu bereinigen. So wirkt die jüngste Oblivion-Übersetzung deutlich professioneller als der fast schon legendär schlechte Erstversuch – aber gänzlich fehlerfrei ist auch sie nicht. Noch immer müsst Ihr Euch die eine oder andere Antwort-Option selbst zusammenreimen, weil der Text die maximale Anzahl von Zeichen pro Zeile überschreitet und dadurch mitten im Satz abgehackt wurde. Immerhin bietet die Blu-ray-Disc anders als die Xbox-360-DVD zusätzlich das US-Original: Wer über ein solides Englisch verfügt, darf Tamriel endlich so genießen, wie es ursprünglich gedacht war – und sich über ein Rollenspiel-Großereignis freuen, das auch jetzt, zirka ein Jahr nach seiner Geburt, noch nichts von seinem Glanz eingebüßt hat. Zumal die PS3-Fassung mit Add-Ons und inhaltlichen Aufbesserungen daherkommt, die Ihr auf der Xbox 360 erst zeit- und kostenintensiv aus dem WWW laden müsst – darunter das Add-On ”Knights of the Nine”. Wer frei bereisbare Spielwelten liebt und auf Genre-Tugenden wie einen packenden Handlungsrahmen verzichten kann, der greift zu!
Meinung
Robert Bannert meint: Grafik-Schluckauf und verhunzte Eindeutschung konnten meine Freude über Bethesdas Rollenspiel-Hammer kaum trüben – auch die teils brutalen Ladepausen nahm ich brav in Kauf. Trotzdem erschien mir die Aussicht auf Besserung verlockend: Tamriel endlich ruckelfrei und ohne unfreiwillige Kaffeepausen genießen? Toll! Aber zu früh gefreut: Nach wie vor ruckelt und zuckelt Euer Avatar beim Überqueren der unsichtbaren Lade-Grenzen, dass es fast schon weh tut. Entsprechend lasse ich den Geldbeutel stecken und trainiere nach wie vor meine Xbox-360-Charaktere – noch heute! Denn so viel steht fest: Ob Xbox 360 oder PS3, ob mit oder ohne fiese Hänger – Oblivion ist ein Rollenspiel, das man immer wieder gerne aus dem Regal holt!
Wertung
enthält die Erweiterung ”Knights of the Nine” und andere Zusatzinhalte
Eindeutschung nicht vorbildlich, aber wesentlich stärker als auf Xbox 360
Grafikaufbau und Weitsicht wurden dezent verbessert
Mit technischen wie sprachlichen Macken behaftetes, aber deshalb nicht minder episches Vorzeige-Rollenspiel für Echtzeit-Kämpfer.
Singleplayer92MultiplayerGrafikSound