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Wie ich hier sitze und diese Zeilen tippe, liegt eine schier gewaltige Reise hinter mir. Weit über 60 Stunden lang habe ich meinen Abenteuerdurst in den Weiten von Vermund und Battahl gestillt, epische Kämpfe gegen turmhohe Fabelwesen ausgetragen und wortwörtlich nach meinem eigenen Herzen gejagt. Auch jetzt, wo der Abspann bereits über den Bildschirm geflimmert ist, ruft die Welt von Dragon’s Dogma 2 nach mir – mit vielen Geheimnissen, die noch gelüftet werden wollen. Gut 10 Jahre nach der Veröffentlichung des Erstlings knüpft der Nachfolger spielerisch an so ziemlich alle seine Skurrilitäten an. Na klar, alles wirkt deutlich polierter und sieht um einiges schicker aus – von seinem kantigen und unkonventionellen Charme hat Dragon’s Dogma aber auch im Jahr 2024 nichts eingebüßt. So viel vorweg: Dieses Fantasy-Epos wird bei Liebhabern des Originals offene Türen einrennen, einige Neulinge zur Weißglut bringen, aber sicher auch viele neue Fans gewinnen.
Aber eins nach dem anderen. Dragon’s Dogma 2 folgt derselben Prämisse wie sein Vorgänger: Ihr schlüpft in die Rolle Eures eigens gestalteten Avatars und geht aus einer verhängnisvollen Konfrontation mit einem Drachen als Erweckter hervor. Gleich darauf findet Ihr Euch in einem Sklavenlager wieder und setzt zur spektakulären Flucht auf dem Rücken eines Greifen an, die mit einer Bruchlandung im satten Grün des Königreichs Vermund endet. Der Startschuss für ein Abenteuer, das bald epische Ausmaße annimmt.
Und dieses gestaltet Ihr ganz so, wie Ihr möchtet. Gleich zum Einstieg steht Euch nämlich die weite Welt offen. Ihr habt es in der Hand, ob Ihr Euch den politischen Intrigen von Vernworth widmet oder aber erst mal schlicht Eures Weges geht.
Schnell wird dabei deutlich: Dragon’s Dogma 2 sprudelt vor Leben und entsprechend regelmäßig buhlt die Welt um Eure Aufmerksamkeit. Immer wieder sprechen Euch Stadtbewohner, Reisende und sonstige Hilfesuchende mit der Bitte an, Euch ihren Problemen zu widmen. Dabei läuft das Abenteuer nie Gefahr, Euch auf genretypisch ermüdende Blümchenjagd zu schicken – die vermeintlichen Nebengeschichten haben die meiste Zeit Hand und Fuß und präsentieren sich häufig sogar äußerst kreativ.
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Ihr entscheidet Euch beispielsweise, welcher von zwei Parteien Ihr mit der Beschaffung eines wertvollen Gegenstandes unter die Arme greift. Oder Ihr seid gewieft, lasst eine Fälschung anfertigen und bedient so gar beide Interessenten. Ihr helft aber auch unscheinbaren Figuren, die im späteren Verlauf dann wichtige Rollen einnehmen.
Diese Erlebnisse sind derart herrlich miteinander verwoben, dass die Grenzen zwischen klassischen Haupt- und Nebenhandlungen regelmäßig verschwimmen und so für ein herausragend organisches Spielerlebnis sorgen. Ihr werdet nicht selten das Gefühl haben, Euer ganz persönliches Abenteuer zu erleben, unterfüttert der Titel seinen roten Faden doch gekonnt mit Geschehnissen, die befriedigend wie Zahnräder ineinandergreifen.
Aber was bedeutet ”Abenteuer”? In Dragon’s Dogma 2 erkundet Ihr eine weitläufige Open World, die auf überbordende Kartenmarkierungen verzichtet. Praktisch also, dass sich die Welt – genauso wie ihre Bewohner – alle Mühe gibt, Eure Abenteuerlust zu fördern. Auf dem Weg zu Eurem selbsterklärten nächsten Ziel werdet Ihr Euch oft dabei erwischen, stattdessen interessanten Entdeckungen am Wegesrand auf den Grund gehen. Finstere Höhlen, mysteriöse Dörfer und allerhand Geheimnisse – eine ähnlich spannende, den Entdeckerdrang fördernde Welt bot zuletzt wohl allenfalls Elden Ring.
Was Dragon’s Dogma 2 jedoch einzigartig macht, ist seine Interpretation von Abenteuer. Es gilt, Reisen sinnvoll zu planen, um in einem Stück am gewünschten Ziel anzukommen. Die Wanderungen können nämlich gerne mal bis in die schaurige Nacht ausufern – dann seht Ihr kaum noch die Hand vor Augen und besonders fiese Monster machen Euch das Leben extra schwer. Für solche Fälle seid Ihr am besten mit entsprechender Lagerausrüstung gewappnet, um im Zweifel ein Päuschen auf halber Strecke einzulegen.
Diese langwierigen Reisen sind unbequem und das muss gefallen – denn bewusst verzichtet der Titel darauf, Euch eine klassische Schnellreise-Funktion anzubieten. Die gibt es zwar, ist aber auf den Einsatz einer recht seltenen Ressource beschränkt. Da denkt man natürlich zweimal darüber nach, ob es gerade schnell gehen muss. Alternativ nehmt Ihr auf einem Ochsenkarren Platz, der Euch zur nächsten Stadt kutschiert. Dass Ihr aber auch heil dort ankommt, ist nicht garantiert. Monster könnten Euch überfallen und wenn dabei sogar der Karren zu Bruch geht, seid Ihr eben inmitten vom Nirgendwo auf Euch gestellt.
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Als echte Abenteurer wisst Ihr Euch aber zu helfen. Eurer Laufbahn entsprechend trotzt Ihr einer bunten Palette von Feinden in Echtzeit mit Schwert, Dolchen, Bogen oder Magie. Schnetzelt es sich eingangs noch recht bequem durch Kobolde und anderes Kanonenfutter, lassen spätestens die hochgewachsenen Bossgegner das Herz zuverlässig in die Hose rutschen. Ihr trefft auf Zyklopen, Oger, Greifen und viele weitere gewaltige Monstrositäten, die nach Eurem Leben trachten. Diese Konfrontationen lassen gerade dann eine elektrisierende ”Monster Hunter”-Romantik aufkommen, wenn Ihr die Rücken der Ungetüme erklimmt, um beherzt auf ihre Schwachstellen einzudreschen. Stichwort ”Monster Hunter”: Der Titel bietet Euch wieder zahlreiche Laufbahnen, die sich erfreulicherweise äußerst individuell spielen, insbesondere je weiter Ihr die entsprechende Klasse vorantreibt. Die neuen Werdegänge fügen sich dabei sehr stimmig in das bisherige Repertoire ein – hier dürfte jeder auf seine Kosten kommen.
Auch das unkonventionelle Vasallen-System hat über zehn Jahre nach Einführung im Original nichts von seiner Faszination eingebüßt. Neben Eurem eingangs erstellten Hauptvasallen habt Ihr regelmäßig die Möglichkeit, Eure Gruppe mit weiteren Gefährten aufzufüllen. Die sucht Ihr bequem aus einem umfangreichen Pool aus, gefüllt mit den Vasallen anderer Spieler.
Natürlich ließ das Team es sich aber auch in diesem Kontext nicht nehmen, selbstbewusst aus der Reihe zu tanzen. Mit der ”Drachenpest” findet nämlich eine neue Mechanik ihren Weg ins Spiel, deren Auswirkungen Ihr am besten selbst kennenlernt. Wie diese fallen auch die meisten sonstigen Eigenheiten von Dragon’s Dogma 2 zweifelsohne unter ”Geschmackssache”. Was die einen als erfrischende Abwechslung vom Status quo empfinden, dürfte anderen schlicht zu unzugänglich sein.
Der technisch nicht so pralle Zustand des Spiels ist indes weniger Geschmackssache: Während Ihr über weite Strecken instabile 30 Bilder pro Sekunde spendiert bekommt, gerät die Bildrate an belebteren Orten schwerer ins Stocken. Immerhin wurde die zum Start unverständlicherweise fehlende optionale fps-Deckelung doch noch nachgereicht wie die ebenfalls zu Beginn abwesende Möglichkeit, direkt im Spiel selbst ein neues Abenteuer zu starten. Erfreulich, denn ansonsten ist Dragon’s Dogma 2 in vielerlei Hinsicht ein herausragendes Erlebnis geworden.
Meinung
Kevin Pinhao meint: Dragon’s Dogma 2 war eine sehr erfüllende Erfahrung, die mich gerade zu Beginn überraschte. Nur mit Mühe fand ich nämlich seinerzeit in das sperrige und eigenwillige Original. Obwohl das danach schrie, mir zu gefallen, wollte der Funke nicht so recht überspringen. Trotzdem: Auf dem Blatt klang diesmal wieder alles ganz nach meinem Geschmack und mit anderen Serien brauchte ich eben auch schon mehrere Anläufe, bis ich mich vollends auf sie einlassen konnte. Ihr könnt Euch also vorstellen, wie froh ich darüber bin, dass es endlich klick machte. Insbesondere, weil ich so eine ganz wunderbare Reise erleben konnte, die mich mehrmals bis spät in die Nacht an den Bildschirm fesselte. Dieses Fantasy-Epos umschifft etablierte Genre-Gepflogenheiten selbstbewusst – das ist gewöhnungsbedürftig und wird eben nicht jedem gefallen. Hat Euch seinerzeit bereits das Original abgestoßen, kann es durchaus sein, dass Ihr hier ebenfalls keinen Zugang findet. Aber hier bin ich: vielleicht als Ausnahme von der Regel, vielleicht aber auch als Beweis dafür, dass es manchmal lediglich eines zweiten Versuchs bedarf.
Thomas Nickel meint: Während sich die meisten Großproduktionen der letzten Jahre regelrecht verbiegen, um den Spielern Machtfantasien und maximal mühelose Abenteuer auf dem Silbertablett zu kredenzen, geht Dragon’s Dogma 2 in eine andere Richtung. Das Spiel suhlt sich geradezu in Situationen und Designentscheidungen, die gestandenen Triple-A-Titeln Herzrasen und Schweißausbrüche bescheren würden. Denn Director Itsuno und sein Team haben ganz richtig erkannt: Interessante Spiele brauchen ihre Reibungspunkte – denn das sind die Momente, die Gamern auffallen, an die sie sich erinnern. Drachenpest, Tragelimit, stockdunkle Nächte, eingeschränkte Schnellreisen – Dragon’s Dogma 2 strotzt bei solchen Entscheidungen und Ideen nur so vor Selbstsicherheit und lädt seine Spieler ein, mittlerweile als gegeben genommene Komfortfunktionen einfach mal zu überdenken. Und die werden dafür wiederum mit einer unvergleichlich lebendigen Welt, massig spektakulären Kreaturen und vielen denkwürdigen und dabei nur selten exakt vorgeplanten Erlebnissen und Abenteuern belohnt.
Wertung
mehrere Enden (inklusive spannendem Endgame)
”Neues Spiel +” nach Abschluss
bewusst ohne diverse Bequemlichkeiten
Episches, unkonventionelles und äußerst charmantes Action-RPG, das mit Kreativität begeistert und auf herausragende Art die Abenteuerlust fördert.
Singleplayer92MultiplayerGrafikSound