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Der Titel aus Südkorea galt lange Zeit als Kandidat, um Bayonetta-Enthusiasten ohne Switch im Zockerhaushalt eine Zuflucht zu gewähren. Seit der Demo wissen wir jedoch, dass Heldin Eve eigene Wege geht. Im Test zeigt sich, dass Euch noch viele Überraschungen erwarten, die Stellar Blade vom Einheitsbrei der Klon- und Formelspiele abheben. Rechnet mit einem Potpourri aus einigen Toptiteln der letzten Jahre.
Worum geht es?
Die Erde der Zukunft ist ein Trümmerhaufen und wird von monströsen Wesen namens Naytiba heimgesucht. Wenige Überlebende durchstreifen noch das Ödland. Doch im Weltall gibt es Hoffnung. Eine als Göttin verehrte KI ”Mother Sphere” half den ins All geflüchteten Menschen, sich mithilfe von Technik weiterzuentwickeln. Eine Flotte von Kämpferinnen wird auf die Erde geschickt, um den Naytiba-Anführer zu vernichten. Doch Eure Heldin Eve ist die einzige, die den Anflug überlebt. Hier beginnt Eure 25-stündige Reise.
Während Ihr Euch mit Eve durch die meist linearen, aber sehr verwinkelten Areale mit vielen optionalen Erkundungsmöglichkeiten schnetzelt, werden Euch viele Parallelen zu bekannten Titeln auffallen. Das fängt schon beim Moveset und der Erkundung an. Ähnlich wie Cal Kestis aus EAs Star Wars Jedi: Survivor ist Eve ziemlich agil, wenn auch nicht so präzise wie Ihr Kollege. Doppelsprünge, Klettereinlagen, Wandläufe und Seilschwingen gehören hier ebenso zum täglich Brot wie die jederzeit spaßigen Kämpfe.
Die Auseinandersetzungen enthalten zwar starke Parier-Elemente wie in Sekiro oder Wo Long, jedoch könnt Ihr Gegner auch nur mit Ausweichmanövern bezwingen. Abseits davon wirkt das Kampfgeschehen wie eine Mischung aus NieR: Automata und Bloodborne. In der Praxis heißt das, dass die Gefechte mit einem hohen Tempo ablaufen und Ihr mehrere Spezialattacken durch Angriffe und Abwehrmanöver aufladet. Wie in den FromSoftware-Titeln müsst Ihr aber dabei ständig auf der Hut sein. Jedoch ist die Schwierigkeit auf ”normal” eher als fordernd als brutal zu bezeichnen. Selbst die vermeintlich harten Bosse werden erst in der zweiten Hälfte deutlich knackiger.
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Auf dem leichten Schwierigkeitsgrad könnt Ihr viel mehr einstecken und dürft einen Assistenten einschalten, der Parieren und Ausweichen zum Quick-Time-Event macht – wobei das System im Test nicht durchgängig funktionierte. Lager zum Shoppen und Auffüllen Eurer Heiltränke gibt es außerdem alle paar Meter und Erfahrungspunkte zum Leveln Eurer fünf Skilltrees könnt Ihr keine verlieren. Die einzige Strafe ist, dass benutzte Hilfsmittel wie drei weitere Heilitems, Minen oder Munition verbraucht bleiben. Da Ihr beim Erkunden ausgiebig Gegenstände und Geld zum Nachkaufen findet und notfalls Ressourcen grinden könntet, ist das mehr als verschmerzbar.
Die Skilltrees bieten nützliche Fähigkeiten wie Kontermanöver und Verbesserungen für Eure Spezialattacken oder erleichtern Euch auch das Parieren und Ausweichen. Daher freut Ihr Euch über stetig eintrudelnde Skillpunkte. Ebenso motivierend ist die Suche nach Waffenbauteilen, um Euren Schwertschaden zu erhöhen, oder Drohnenbauteilen, die mehr Fernkampf-Optionen für die etwas schwachbrüstigen Knarren freischalten. Da Ihr bei der optionalen Erkundung auf erweiterte Lebensbalken und mehr Beta-Energie-Leisten für Spezialfähigkeiten stoßt, gibt es weitere Gründe, jede Ecke zu durchforsten.
Was Stellar Blade größtenteils beherrscht, ist das Spiel mit der Abwechslung. Das gilt nicht nur für die gelungene Balance zwischen Erkundung und Gefechten. In jedem neuen Gebiet warten frische Gegnertypen, auf deren Manöver Ihr Euch erst einstellen müsst. Klasse! Ebenso nehmen sich die Entwickler die Freiheit, fast jedes Rätsel, Minispiel und spezielle Kampfsituationen wie eine Schlacht zwischen sich bewegenden Lasern nur einmal zu verwenden. Mal müssen wir mit einem Kran eine Brücke bauen, tödliche Rotorblätter überwinden, einen Lichtstrahl spiegeln oder in einer bestimmten Reihenfolge einen Übergang mithilfe von PlayStation-Controller-Symbolen meistern. Das ist alles nicht neu, aber durch den einmaligen Gebrauch kommt nie das Gefühl von Formelhaftigkeit auf.
Jedoch müssen wir unser Lob etwas einschränken, wenn es um die Open-World-Hubs geht. Zwischen den Story-Gebieten erwarten Euch zwei Open-World-Hubs mit den Bezeichnungen ”Ödland” und ”Wüste”. Wie Ihr Euch bei den Namen denken könnt, sind diese sich optisch in ihrer Farbgebung recht ähnlich, auch wenn sie sich in einigen Aspekten klar unterscheiden und optische Highlights bieten. Ebenso löblich für diese oberflächlich trist wirkenden Hubs: In beiden Arealen könnt Ihr viele Stunden verbringen, denn es gibt sehr viel Optionales zu entdecken, selbst wenn Ihr die vielen Nebenquests ignoriert, die Ihr in Xion, der einzigen kleinen Stadt des Spiels, annehmen könnt.
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Apropos Xion: Der Ort hält einige unterhaltsame Begegnungen bereit, sodass wir nicht nur bei Händlern stehen bleiben, bei denen Ihr neben Ressourcen auch Outfits, Frisuren und in Eve einbaubare Perks shoppen könnt. In einer Bar findet Ihr die singende Androidin Enya, der ihr Körper abhandenkam. In einem Laden entdeckt Ihr nur Teddybären. Was es damit auf sich hat? Obwohl einige der Charaktere verschroben sind und unser Interesse wecken – ganz wurde das Potenzial vieler Figuren nicht ausgeschöpft. Selbst Gestalten mit Datenbankeinträgen sind meist eine flüchtige Begegnung, denen nur ein paar Zeilen vergönnt sind.
Sprechen wir über den Elefanten im Raum, der im Vorfeld für viel Furore sorgte. Ja, Eves weibliche Reize werden recht plump in den Vordergrund gerückt bei vielen der über 30 Outfits im Spiel. Jedoch findet Ihr neben albern wirkenden Klamotten wie einem Badeanzug auch einige Kleidungsstücke mit mehr Stoff. Ihr könnt das Abenteuer gar ohne Bekleidung bestreiten, was allerdings den Sex-Appeal einer nackten Schaufensterpuppe hat. Das ist daher nur relevant, wenn Ihr das Spiel ohne Schild erleben wollt. In den Zwischensequenzen wird mit Eves Reizen im Gegensatz zu Bayonetta jedoch nicht gespielt. Je nach Outfit habt Ihr für eine Sekunde prominent ihren Hintern in der Kamera – das war’s. Da die Story außerdem einige Erklärungen für Eves Äußeres anbietet, nahmen wir das Ganze als wenig störend wahr.
Zu den vielen erkennbaren Parallelen zu NieR: Automata gehört auch die starke Atmosphäre des Spiels. Den größten Anteil daran hat der Soundtrack. Viele Stücke wurden dabei vom Musikstudio beigesteuert, das bereits bei NieR: Automata für die wundervolle Klangkulisse zuständig war. Auch während Eves Reise hört Ihr häufig ruhigen Balladen mit weiblichem Gesang zu, der in Verbindung mit der trostlosen Welt dem Abenteuer eine traurig-schöne Note verpasst.
Ebenfalls gelungen sind die vielen ansehnlichen Schauplätze, selbst wenn ein paar Orte durchaus daran erinnern, dass Stellar Blade bei der Ankündigung unter dem Arbeitstitel ”Project Eve” noch als Multiplattform-Spiel für die Vorgänger-Generation geplant war. Egal, ob Ihr zwischen den zerstörten Häuserschluchten einer Großstadt unterwegs seid oder in unterirdischen Forschungsanlagen: Immer wieder gibt es schicke Räumlichkeiten mit vielen Details zu sehen, die auf vergangenes Geschehen hinweisen.
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Für Lese- und Sammelfreunde gibt es außerdem etliche Einträge verschiedenster Art zu finden, die Euch die Geschichte näherbringen. Neben Postern und Büchern in der Stadt stoßt Ihr in der Welt auf haufenweise Verstorbene mit Memorysticks. Diese enthalten entweder Passwörter für optionale Truhen oder sehr kurze Texte mit meist kaum mehr als vier Sätzen, wodurch auch Lesefaule nicht abgeschreckt werden sollten.
Wir empfehlen, dass Ihr Euch die Texte durchlest, da sie durchaus zum Verständnis der Story beitragen. Zu der verlieren wir übrigens bewusst wenig Worte, da hier jede weitere kleine Information schon ein Spoiler für die Handlung wäre. Insgesamt hielt sie uns gut bei der Stange, obwohl sie etwas verkopft erzählt wird und weniger kompliziert ist, wie es scheint.
Es seien ansonsten nur zwei weitere Dinge gesagt: Die ganz wenigen Entscheidungen, die Ihr trefft, haben spürbare Auswirkungen auf das Ende. Rennt Ihr einfach durch das Abenteuer, verpasst Ihr vieles. Wer alles sehen will, der muss aktuell mit einem New Game+ die Reise erneut bestreiten. Die dürft Ihr dann auch auf dem harten Schwierigkeitsgrad angehen, wobei ein paar der fünf Skillbäume minimal erweitert werden.
In einer Welt voller Day-1-Patches ist es erfreulich, dass Stellar Blade selbst vor diesem bereits während der gesamten Spielzeit fast fehlerfrei lief. Nur im letzten Drittel ereilte uns ein Bug, wodurch wir in einem eigentlich geschlossenen Container landeten und neu laden mussten.
Obwohl nur die Unreal Engine 4 genutzt wird, sorgen das starke Artdesign, detaillierte Charaktermodelle und einige feine Texturen für einen starken visuellen Eindruck, ohne die Grenzen von Sonys Flaggschiff vollkommen auszureizen. Nettes Detail: Da Ihr außerhalb der Schnellreisen keine unterbrechenden Ladezeiten habt, wirkt das Geschehen stets fließend wie ein spielbarer Film.
Es werden Euch drei Grafik-Modi angeboten. Den Qualitätsmodus mit stabilen 30 fps solltet Ihr ignorieren, da es sich bei dem hohen Spieltempo spürbar schlechter parieren lässt. ”Performance” läuft stets flüssig mit konstanten 60 fps. Habt Ihr einen VRR-fähigen Fernseher, empfiehlt sich der ”Ausgeglichen”-Modus, da Ihr die Sprünge zwischen 50 fps und 60 fps in der Action nicht mehr wahrnehmen dürftet.
Meinung
Steffen Heller meint: Obwohl ich mir einige Quality-of-Life-Punkte gewünscht hätte wie eine unkompliziertere Schnellreise in alle Gebiete sowie Karten in einigen Arealen, ist das Gesamterlebnis großartig. Stellar Blade leiht sich viele Elemente der einprägsamsten Action-Adventure-Spiele der letzten Jahre und macht daraus einen grandiosen Mix, der mich zu keiner Sekunde langweilt. Wie im ersten Ninja Gaiden fühle ich mich auf hohem Niveau gefordert ohne den typischen FromSoftware-Frust. Ständig gibt es Wege zu erkunden, für die ich belohnt werde. Selbst die erst mäßig anmutenden Open-Hub-Gebiete beinhalten mehr, als man beim ersten Anblick vermutet. Dank zusätzlich starker Atmosphäre und verdammt viel Abwechslung hat sich Stellar Blade trotz kleinerer Fehler wie der ungenauen Sprungsteuerung die 89 Punkte verdient. Sollte man sich nicht entgehen lassen!
Ulrich Steppberger meint: Erfreulicherweise liefert das fertige Produkt viel mehr, als die gelungene Demo erahnen ließ. Ganz makellos sind die Open-World-Bereiche zwar nicht, in der zentralen Stadt Xion habe ich mich bis zum Ende immer wieder mal verlaufen und die paar Abschnitte mit Fokus auf Geballer sind gelungen, fühlen sich jedoch ein Stück weit wie aus einem anderen Spiel an. Macht aber alles nichts! Denn als Gesamtwerk überzeugt mich Eves Mission fast auf ganzer Linie: Das anspruchsvolle, aber nie zu biestige Kampfsystem versteht es geschickt, den Fokus auf gute Defensive zu setzen und motiviert mit sinnvollen Aufrüst-Skills. Dazu kommt die starke Optik, bei der attraktives Design mit fast blitzsauberer Technik stimmig in Szene gesetzt wird – und sogar die Story macht sich ordentlich (auch wenn die Enden ein Fall für sich sind). Schade nur, dass keine manuellen Spielstände angelegt werden können, denn an einigen Schlüsselstellen wäre das sehr wünschenswert gewesen – aber das ist wirklich Meckern auf höchstem Niveau.
Wertung
auf ”leicht” auch für ”Normalos” machbar
sehr viele optionale Sidequests
auch Kleidung mit mehr Stoff wählbar
”New Game+”-Modus ist da
Fotomodus soll wohl später kommen
Ein Überraschungshit mit wahnsinnig viel Abwechslung und Atmosphäre, der Euch meist angenehm fordert und selten überfordert.
Singleplayer89MultiplayerGrafikSound