Im Interview zu Witcher 4 wird es für Chefredakteurin Leya plötzlich sehr emotional. Game Director Sebastiona Kalemba erklärt, warum die geopferte Frau aus ihrem neuen Story-Trailer so wichtig für Ciris Reise ist.
Erst gestern habe ich die Game Awards live in Los Angeles gesehen. Ein großes Highlight ist der neue Reveal-Trailer zu The Witcher 4, den ich dort auf der großen Leinwand sehe. Direkt hinter mir sitzt ein Teil des Teams von CD Projekt Red.
Neugierig drehe ich mich von Zeit zu Zeit um und blicke in angespannte und aufgeregte Gesichter. Ich denke mir: Wäre ich an ihrer Stelle und würde nach fast 10 Jahren den Nachfolger des beliebten Witcher 3 enthüllen, würde es mir im Magen kribbeln.
Jetzt sitze ich in einer Hotel-Lobby mit meinem Laptop und bereite mich auf ein Interview vor, dass ich in nicht mal mehr 30 Minuten mit dem Game Director Sebastian Kalemba und der Executive Producerin Gosia Mitrega habe. Eigentlich habe ich meine Fragen schon zusammengestellt. Ein letztes Mal schaue ich mir den gerade erst enthüllten Trailer nochmal konzentriert auf meinem Laptop an.
Und dann fallen mir ihre Augen auf.
Autoplay
Augen, die ich nicht vergessen kann
Mein Fokus richtet sich plötzlich auf Mioni, die junge Frau, die dem Monster im Trailer geopfert werden soll.
Am Anfang des 6-minütigen Trailers sind fast 2 Minuten nur ihr gewidmet. Das ist viel Zeit dafür, dass Ciri der Star des Trailers ist, denke ich mir in diesem Moment. Wie sie für die Opferung vorbereitet und in ihren sicheren Tod geführt wird.
Ich fange an die junge Frau näher zu studieren und gehe mit der Nase nahe an meinen Monitor, in dem ich ihre Augen treffe.
Ich sehe Angst.
Nervös blickt die junge Frau in die Gesichter ihres Dorfes.
Obwohl ich einer fiktiven Gestalt folge, bekomme ich Mitleid mit ihr. Ich habe Respekt für die starke Umsetzung ihrer innersten Angst und ihrer Augen, die sich bei mir eingebrannt haben.
Kurz danach kommt die große Enthüllung, dass Ciri die neue Protagonistin der Witcher-Reihe von CD Projekt Red wird.
Meine Aufmerksamkeit bleibt allerdings bei Mioni und ich denke mir: Das kann doch alles kein Zufall sein.
Warum ausgerechnet eine Opfergabe einer jungen Frau? Warum bekommt Mioni so viel Zeit im Trailer gewidmet? Im Augenwinkel sehe ich den PR-Agenten Fabian Döhla, der mich aus der Hotel-Lobby zum Interview abholt.
Schnell kritzele ich mir noch eine Notiz zu meinen Fragen: „Symbolik geopferte Frau?“
Was ist die Verbindung zu Ciri?
Als ich Raum ankomme, in dem wir das Interview miteinander führen, werde ich herzlich von einer glücklichen Gosia Mitrega begrüßt, der ich allerdings auch die Müdigkeit ansehe. Sie ist die Executive Producerin von The Witcher 4 und sieht losgelöst nach dem großen Trailer-Reveal aus.
Auch Game Director Sebastian Kalemba wirkt in diesem Moment gelassen und fröhlich. Wir setzen uns zusammen und losgeht das Interview. Ich schreibe mir immer sehr viel mehr Fragen auf, als ich überhaupt in der Zeit durchbekommen kann und entscheide spontan, je nach Stimmung und Gesprächsverlauf, welche ich stelle.
Nach ein paar lockeren Einstiegsfragen habe ich eigentlich immer nur noch die geopferte Frau im Kopf. Als ich meinen Fragen-Katalog scanne, sticht mir meine Notiz ins Auge und ich muss es einfach wissen:
„Am Anfang des Trailers habe ich sehr mit der jungen Frau gelitten. Ich finde, das habt ihr brillant umgesetzt, weil man in ihren Augen erkennt, wie viel Angst sie hat. Ich hatte Gänsehaut, als ich das angeschaut habe. Das bringt ja auch das Thema »Junge Frauen als Opfergabe« auf den Tisch. Das ist ja derart symbolisch, dass ich mich gefragt habe: Welche Verbindung gibt es da zu Ciri? Könnt ihr da tiefer auf die Symbolik dahinter eingehen?“
Ich weiß nicht, mit was für einer Antwort ich hier eigentlich gerechnet habe. Aber dass ich eine dermaßen ausführliche und emotionale Antwort erhalten würde, das überrascht mich.
Es war eine Lektion für Ciri
Sebastian lehnt sich weit nach vorne und ich sitze einfach nur da und höre dem Game Director gespannt zu, wie seine Antwort aus ihm herausplatzt:
„Ok, Zeit, so richtig abzunerden!
Das ist genau der Grund, warum wir uns für diese Geschichte entschieden haben – um das als Grundlage zu nehmen und damit Ciris inneren Konflikt und ihren aktuellen emotionalen Zustand zu zeigen. Die junge Frau, Mioni, hat keine Möglichkeit, ihrem Schicksal zu entgehen. Sie ist die Dienerin eines Aberglaubens und wird von ihrem Vater benutzt.
Natürlich leben sie alle in Angst, schon so viele Jahre – und genau das macht es ja so dramatisch – und sie haben es immer noch nicht geschafft, einen anderen Weg [als die Opferung] zu finden, um mit dem Bösen umzugehen. Auf der anderen Seite haben wir dann Ciri, die – wie schon erwähnt – ihr ganzes Leben lang davongelaufen ist. Sie hat gelernt, dass man volle Verantwortung über das eigene Handeln übernehmen kann und auch sollte. Sie wurde von den Wölfen großgezogen, sie ist hier, weil sie sich ihrem Schicksal gestellt hat – und sie ist gar nicht damit einverstanden, dass Mioni von allen in den Wald geleitet wird, ohne dass jemand eingreift.
Das zieht sie noch mehr in diese Situation, für sie ist das ein großes »Nein!«. Auf der anderen Seite versteht sie auch die Tragik des Ganzen … Sagen wir, sie entscheidet sich dafür, [Mioni] nicht in den Wald gehen zu lassen, dann müsste sie sich den Dorfbewohnern stellen, weil sie weiß, wie eine von Angst gesteuerte Meute darauf reagieren würde. Diese Angst schweißt sie zusammen.
Als professionelle Monsterjägerin musste sie Mioni aber auch ein bisschen selbst benutzen, um das Monster aus seinem Versteck zu locken und sich einen Vorteil zu verschaffen. [Im Trailer] gibt es den Moment, wo sie Mionis Schulter berührt und sagt »Renn weg, verschwinde!«. Sie wollte nicht das Leben der jungen Frau aufs Spiel setzen. Sie hatte also gute Absichten – Ciri ist auch die [Zieh-]Tochter von jemandem, von Geralt in diesem Fall.
Sie konnte sich also sehr gut in diese Situation hineinversetzen, in diese Dynamik, wo es keine guten Entscheidungen gibt. Sie musste sich also einmischen und ihr Bestes geben, um zumindest zu versuchen, der jungen Frau zu helfen. In diesem Fall gab es leider [einen traurigen Abschluss]… wir wollten wirklich zeigen, dass diese Welt sehr düster ist.
Es gibt also immer Konsequenzen, man bezahlt für seine Handlungen. Aber es war auch wieder eine Lektion für Ciri: »Ich habe mein Bestes gegeben, aber ich kann die Welt um mich herum nicht kontrollieren.« Das Ganze ist also sehr symbolisch. Auch der Moment, als sie den Wald betritt und all diese Stimmen hört – Bauk [die Kreatur aus dem Trailer] spielt also auch mit ihren eigenen Ängsten und inneren Monstern.
Die Kreatur versucht, Ciri unter die Haut zu kriechen und sie zu verjagen, davon abzuhalten, dass sie sich einmischt. Sie musste sich da also auch durchkämpfen – das war ebenfalls ein sehr wichtiger Moment für sie, der auch sehr gut ihre Persönlichkeit zur Schau stellt.“
Sebastian spricht aus vollem Herzen, während Gosia und ich einfach lauschen
Beim Zuhören bekomme ich leicht feuchte Augen und bin damit nicht die einzige im Raum. Während sich der Game Director das Herz zu Ciris Reise ausschüttet, wird deutlich wie viel ihm diese Heldin und ihre Geschichte bedeutet. Ich merke, dass ihn diese Figur schon lange begleitet und Ciri ein Teil von ihm geworden ist.
Nach dieser ausführlichen Antwort zur Symbolik von der Opfergabe und wie sie in Verbindung zu Ciri steht, fange ich an über das Monster aus dem Trailer nachzudenken. Dem Bauk.
Der Bauk spielt mit Ciris Ängsten
Ich bohre tiefer zum gezeigten Monster nach:
„Ich habe mich über den Bauk informiert. In der serbischen Mythologie ist der Bauk ein Wesen, das sich von Ängsten ernährt. Deshalb hatte ich mich auch gefragt, was eure Absicht war, den Bauk im Trailer zu zeigen. Weil klar, das hier ist ein Witcher-Spiel, also braucht es auch ein Monster. Aber es ist natürlich entscheidend, welche Kreatur man dann für einen derartigen Trailer auswählt.”
Sebastian: „Ja, das ist eine sehr wichtige Entscheidung. Und wir wollten dafür auch ein komplexes Monster. Wir wollten nicht einfach irgendeine Kreatur, wir wollten ein intelligentes, sehr mächtiges Monster, das wir auch als Instrument benutzen konnten, um gewisse Emotionen zu transportieren. In den bisherigen Spielen haben wir unterschiedlichste Monster gezeigt. Die Striga zum Beispiel. Manchmal sind die Menschen die wahren Monster. Das macht diese Welt so düster und so real. Und [in The Witcher 4] ist Ciri noch jung, sie muss sich noch beweisen. Sie versucht, vor allen zu beweisen, dass es eine gute Entscheidung war, eine Hexerin zu werden.”
Gosia: „Sie will es vor allem auch sich selbst beweisen. Weil das Monster so viel mit ihren Ängsten spielt, hinterfragt sie sich: »Ist das genug? Bin ich genug?« Also existieren hier viele Monster: die eigentliche Kreatur im Wald. Aber auch die Menschen im Dorf. Und auch die Ängste in Ciris Kopf. Wir wollten mit dem Trailer also all diese Schichten zeigen, all diese Aspekte des Spiels.”
An dieser Stelle ist der ganze Raum selbst hochemotional. Denn Ängste spielen sicher in den Köpfen der Entwickler gerade auch eine Rolle. Der Trailer ist gezeigt, das erste Community-Feedback gelesen, die Erwartungen hoch.
Die etwas andere Trailer-Analyse
An dieser Stelle fällt es mir gar nicht so leicht das Interview wieder in eine etwas lockere Richtung zu lenken. Außerdem klingen mir im Kopf noch die Worte zur Opfergabe nach und ich habe Schwierigkeiten meinen Fokus zu finden.
Das beste, was mir einfällt, ist einfach weiter über das Monster und sein Design zu sprechen. Und hier sind wir noch richtig tief ins Detail gegangen. Den Teil des Interviews, zusammen mit weiteren Infos zum Trailer, findet ihr allerdings nicht hier auf MeinMMO, sondern auf unserer Schwester-Seite der GameStar.
Aus dem Nähkästchen: Nachdem klar war, dass ich zu den Game Awards nach LA fliege, kam der GameStar-Chefredakteur Heiko Klinge auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, dieses Interview zu führen. Ich liebe Interviews und sie gehören zu meinen liebsten Beschäftigungen in meinem Job, weshalb er mich nicht zweimal fragen musste.
Das komplette Interview ist deshalb als Gastartikel auf GameStar Plus zu finden: Zu The Witcher 4 haben wir die etwas andere Trailer-Analyse: die mit CD Projekt Red
Nach dem Interview steige ich sofort in den Uber, der mich zum Flughafen bringt. Im Kopf schwirrt mir immer noch Mioni herum. Ich gehe mit einem guten Gefühl zu Witcher 4.
Der Beitrag „Es gibt immer Konsequenzen“ – Die geopferte Frau im neuen Witcher-Trailer bedeutet so viel mehr, als ihr denkt erschien zuerst auf Mein-MMO.de.
