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Es ist vollbracht! Knapp zehn Jahre hat Silicon Knights mit der Zeugung von Too Human verbracht, nun hat das Problemkind endlich das Licht der Welt erblickt. Können die kanadischen Entwickler-Eltern stolz auf ihr Baby sein?
Hübsch ist es auf jeden Fall (größtenteils zumindest), und es ist immer Action angesagt, wenn man sich mit dem Kleinen beschäftigt. Tut man dies allerdings über einen längeren Zeitraum, wird klar: Viel Abwechslung hat das Neugeborene nicht zu bieten.
Aber der Reihe nach. Die Eltern müssen ihrem Nachwuchs eine Menge Sagen aus der Nordischen Mythologie erzählt haben. Denn genau von diesen brabbelt das Kleine ununterbrochen: Ihr übernehmt darin die Rolle Baldurs, seines Zeichens Sohn von Göttervater Odin. Euer Job: die Menschheit vor den Maschinen zu schützen. Die haben in letzter Zeit nämlich Geschmack gefunden an zartem Menschenfleisch – allen voran das Monster Grendel (bekannt aus der “Beowulf“-Saga).
Beachtlich bei den Geschichten ist, dass der Knirps in seinem Alter schon eine geschickte Erzählstruktur mit Rückblenden verwendet – andererseits hatte er ja viel Zeit, sich eine spannende Geschichte auszudenken. Aber genug von Babys und Metaphern, jetzt wird ernsthaft getestet…
Too Human versteht sich als SciFi-Abenteuer, ist aber nichts anderes als ein Hack’n’Slay mit Diablo-ähnlichen Rollenspielanleihen. In anderen Worten: Es wird geknüppelt, was das Zeug hält und nebenbei aufgelevelt, Gegenstände gesammelt sowie die Ausrüstung verbessert. Die Spielmechanik unterscheidet sich allerdings grundlegend von Diablo und erinnert eher an den Spielhallenklassiker Robotron. Gekämpft wird nämlich mit dem rechten Analogstick: Drückt Ihr den Steuerknüppel in eine Richtung, schwingt auch Euer Held sein Werkzeug dorthin. Peilt Ihr einen in der Nähe befindlichen Gegner an (glaubt uns, es ist immer einer in Reichweite), rutscht Baldur wie auf Rollerskates zum Feind und rammt ihm sein Schwert in den kybernetischen Körper.
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Mit welcher Wucht er dies tut, bestimmt die Charakterauswahl zu Beginn. Aus fünf Klassen wählt Ihr Euren Favoriten: Während der Berserker auf Nahkampf getrimmt ist, versteht sich der Kommando-Soldat auf technische Spielereien wie Sprengstoff. Der Bio-Ingenieur ist hingegen der einzige der Truppe, der sich und Teammitglieder heilen kann. Ebenfalls unterschiedlich ausgeprägt sind die ballistischen Künste. Um Euch die in Scharen auftretenden Feinde vom Hals zu halten, feuert Ihr mittels der Trigger-Tasten eine Laserknarre ab (gezielt wird ebenfalls mit dem rechten Stick).
Eine Funktion zum freien Schwenken der Kamera gibt es nicht. Diese kann lediglich hinter Euch zentriert werden – was ein ums andere mal für Übersichtsprobleme sorgt. Dafür machen die Kämpfe dank ihrer andersartigen Bedienung Laune. Wenn Ihr schnell einen Kybernetik-Käfer nach dem anderen zu Matsch verarbeitet, füllt sich Eure Combo-Leiste und Ihr könnt mit vernichtenden Schockwellen einer ganzen Horde den Garaus machen. Unzulänglichkeiten der Steuerung kommen allerdings im Kampf mit etwas größeren Brocken zum Vorschein: Wenn schnelle Reaktionen gefragt sind, ist die Bedienung zu verzögert und ungenau.
Trotzdem zieht einen das Spiel anfangs in seinen Bann, was in erster Linie den eindrucksvollen Locations zu verdanken ist. So erforscht Ihr z.B. eine gigantische, mit Statuen und Steinsärgen verzierte Höhle und fühlt Euch in die Moria-Minen aus “Der Herr der Ringe“ versetzt. Außerdem lockern Zwischensequenzen sowie Aufenthalte in einer optisch und spielerisch andersartigen Paralleldimension (Cyberspace genannt) den Action-Alltag auf.
Ab der zweiten Welt ist von der Abwechslung nicht mehr viel übrig. Ihr stiefelt stundenlang in grafisch schwächeren Umgebungen herum, quält Euch durch immer größere Gegnerhorden, ärgert Euch über nicht abbrechbare Sterbesequenzen und fragt Euch, ob das jetzt alles war, was in zehn Jahren Entwicklungszeit rumgekommen ist (erst gegen Ende steigt das Niveau wieder).
Da helfen auch die RPG-Elemente nicht viel: Ihr könnt zwar Ausrüstung und Spezialisierung Eures Recken frei bestimmen, auf den Spielablauf hat das aber kaum Einfluss.
Zweischneidig auch die Technik: Während die stimmungsvollen Umgebungen überzeugen, können die teils fratzenhaften Gesichter der CPU-Kollegen ihr hohes Alter nicht verleugnen. Dazu kommen etwas hölzerne Animationen und eine Bildrate, die bei viel Action in die Knie geht. Die Vertonung ist wie die Musikuntermalung gut (vorzugsweise in Englisch).
Im Online-Koop-Modus dürft Ihr zu zweit ran – ohne Story-Ballast und mit Handelsoptionen.
Meinung
André Kazmaier meint: Die ersten Spielstunden hat mich Too Human positiv überrascht: Die Welt war stimmig, die Atmosphäre top, die Kampfsteuerung erfrischend anders und die Geschichte vielversprechend. Überraschend schnell hat sich allerdings auch Ernüchterung breitgemacht. Das liegt vor allem an dem ideenlosen Spielverlauf: Wenn Ihr zum tausendsten Mal die gleichen Gegner mit den gleichen Moves (viele gibt es ja nicht) um die Ecke bringt, langweilt’s. Zudem wird es oft chaotisch und die Steuerung will dann nicht mehr so, wie Ihr wollt. Und wenn Ihr draufgeht – sei’s drum, die Gegner bleiben ja weiterhin angeschlagen. Motivierend ist das nicht. Jammerschade hingegen schon, denn aus Too Human hätte man mehr machen können, viel mehr!
Max Wildgruber meint: Lange Zeit war Too Human meine heimliche Hoffnung auf einen konsolentauglichen Diablo 2-Klon. Gegnerhorden, Sammel-Gegenstände mit lustigen Namen und die blutrünstige Edda-Mythologie klangen süß in meinen Ohren. In Wirklichkeit wirkt Baldurs Heldensaga eher kakophonisch. Die Steuerung eignet sich nicht für ein Hack’n’Slay. Große Monstermassen zu kontrollieren ist unmöglich, weil ich nie genau weiß, welche Manöver mein Ase ausführen wird. Auch der Skill-Tree verwirrt mich mit schlecht erklärten Fähigkeiten, deren Auswirkungen ich im Spiel kaum bemerke. Was bleibt, ist eine kühne Mischung aus SciFi und dem germanischen Pantheon, die aber leider nur in den Zwischensequenzen richtig Spaß macht.
Wertung
das erste Spiel von Silicon Knights seit ”Metal Gear Solid: The Twin Snakes” (2004 für GameCube erschienen)
”Too Human” wurde bereits 1999 für die PlayStation angekündigt
ca. 15 Stunden Spielzeit
Koop-Modus via Xbox Live
Stimmungsvolle Schlachtplatte mit RPG-Anleihen und unorthodoxer Steuerung, deren Nonstop-Keilereien bald auf die Nerven gehen.
Singleplayer69MultiplayerGrafikSound
