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Ob Ant Attack (1983) von Sandy White, Sim Ant (1991) von Will Wright, Empires of the Undergrowth (2017) von Slug Disco Studios oder The Ants: Underground Kingdom (2021) von StarUnion – Computer- und Videospiele mit Ameisen in der Hauptrolle gibt es zwar einige, allzu verbreitet sind sie allerdings nicht. Umso mehr freuen wir uns über den Subgenre-Neuzugang Empire of the Ants des Entwicklers Tower Five aus La Rochelle. Lose inspiriert vom gleichnamigen, 1991 veröffentlichten und in mehr als 30 Sprachen übersetzten Science-Fiction-Roman des französischen Romanautors Bernard Werber, schlüpft Ihr hier die Rolle der Ameise mit der Nummer 103.683.
Nach einigen Tutorialabschnitten erfährt diese von ihrer Königin, dass sich nahe der Ameisenstadt Ta-yu-kan eine Flut anbahnt, die verheerende Schäden anrichten könnte. Um möglichst viele Artgenossen vor der drohenden Katastrophe zu bewahren, besteht Eure Aufgabe nun zunächst darin, sieben Legionen von Arbeiterameisen nach Ta-yu-kan zu geleiten. Einmal dort angekommen, gilt es zu überprüfen, ob sich die Stadt irgendwie retten lässt oder doch komplett evakuiert werden muss. Die daraus resultierende, in fünf Kapitel unterteilte Geschichte wird mit sehenswerten Ingame-Zwischensequenzen und kleinen Dialogen zwischen Euch und anderen Ameisen sowie Insekten vorangetrieben und führt 103.683 durch wunderschöne, in sich abgeschlossene Szenarien. Jedes Areal hält erfreulich abwechslungsreiche Herausforderungen bereit. Kurz nach dem Gespräch mit der Ameisenkönigin müsst Ihr beispielsweise im Alleingang eine überflutete Sumpflandschaft durchqueren und auf diese Weise einen sicheren Weg für Eure Legion auskundschaften.
Der Spielablauf in solchen Passagen ist sehr erkundungslastig und dank der immensen Sprungfähigkeiten Eurer Ameise gespickt mit jeder Menge Plattforming-Action. Doch Vorsicht: 103.683 kann nicht schwimmen. Landet Ihr im kühlen Nass, dauert es nur wenige Sekunden, bis der kleine Krabbler sang- und klanglos untergeht. Andernorts müsst Ihr unter anderem in einem verwinkelten Höhlensystem Jagd nach kalorienreichen Glühwürmchen machen oder – während der Wasserpegel eines Tümpels immer weiter ansteigt – Eure pheromon-sensitiven Fühler nutzen, um sieben verschollene Arbeiterinnen zu lokalisieren. Checkpoints sind in allen Missionsarten stets fair gesetzt und auch die Tatsache, dass Euer flinker Sechsbeiner über eine unbegrenzte Menge an Bildschirmleben verfügt, macht das Erlebnis sehr einsteigerfreundlich. Eine Möglichkeit, den Schwierigkeitsgrad anzupassen, gibt es hingegen nicht und manuelles Speichern ist leider ebenfalls nicht möglich.
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Den Löwenanteil der Kampagnenmissionen nehmen allerdings Echtzeit-Schlachten ein. Darin wird 103.683 zum Kommandanten von bis zu sieben Legionen und erteilt diesen aus Third-Person-Perspektive im Kampf gegen andere Ameisenvölker und Insekten Anweisungen. Anfangs befehligt Ihr zunächst nur die drei Grundameisen-Typen (Arbeiterinnen, Soldaten, Schützen), später kommen noch verschiedene Spezialeinheiten wie aus der Luft angreifende Hornissen, Schleimspuren hinterlassende Schnecken oder Riesenkäfer hinzu, die wie ein Carry-All aus ”Dune 2” agieren und Bodentruppen zügig über die Karte transportieren. Basenbau ist ebenfalls implementiert, allerdings weit weniger komplex als bei der Konkurrenz. So könnt Ihr an vorgegebenen Nistplätzen bestimmte Upgrades in Auftrag geben, die dann unter anderem einen Schutzwall um Euer Nest wachsen lassen, die Holz- und Pilzproduktion steigern oder Buffs ermöglichen. Habt Ihr beispielsweise den 40 Holzeinheiten kostenden ”Veteran-Kartografen” freigeschaltet, seht Ihr auf der Karte auf einen Blick, ob Regionen von Euch kontrolliert, umkämpft oder vom Feind besetzt sind. Andere Verbesserungen müssen hingegen jeweils manuell im Kampf aktiviert werden. Hierzu zählen unter anderem ”Wutpheromone”, die den Schadens-Output für 30 Sekunden lang um 30 Prozent steigern oder ”Schützende Sporen”, die bei einer ausgewählten Legion für einen temporären Schutzschild sorgen.
Kommt es zum Duell zwischen Euren und gegnerischen Einheiten, greift zudem ein leicht verständliches Schere-Stein-Papier-Prinzip: Soldaten schlagen Arbeiterinnen, Letztere machen kurzen Prozess mit Schützen, während diese wiederum im Vorteil gegen Soldaten sind. Direkten Einfluss auf die Kämpfe haben darüber hinaus Temperatur, Feuchtigkeit und Lichtverhältnisse. Auf sehr heißen Karten erhöht sich zum Beispiel der Schaden und das Tempo von Legionen spürbar, während eine dunkle Umgebung die Ressourcenproduktion in der Basis und durch Sammlereinheiten um 25 Prozent reduziert. Regen, Hagel oder Schnee spielen indes keine Rolle.
Als zweischneidiges Schwert entpuppt sich das Interface: Einerseits ist die Idee, das Upgrade-Menü direkt in den Boden eines jeden Nests zu integrieren, sowohl optisch als auch spielerisch genial umgesetzt. Andererseits stört es bei vielen Schlachten, dass man für jedes Upgrade zurück zum entsprechenden Nest krabbeln muss und die Verbesserungen nicht einfach von überall in Auftrag geben kann.
Meinung
Sönke Siemens meint: Ich habe schon viele Strategiespiele getestet, aber keines sieht so fotorealistisch aus wie dieses große Krabbeln. Ob emsiger Ameisenhügel, halb im Sumpf versunkener Autoreifen oder wuselnde Feuerwanzen – Empire of the Ants hat in seinen besten Momenten die Optikqualität einer Natur-Doku. Klammert man die Traumgrafik und den genauso fantastischen Soundtrack aus, bleibt ein gut spielbarer, leicht zugänglicher Mix aus Action-Abenteuer und Echtzeit-Strategie, der allerdings in einigen Bereichen wertvolles Potenzial verschenkt. Die Übersicht in wuseligen Schlachten wäre mit einer optionalen Top-Down-Perspektive zum Beispiel noch besser, der Spielablauf hätte durch weitere Wetter- und Umweltfaktoren (Gift, Müll, Tunnel etc.) an Tiefe gewonnen und auch bei der Enzyklopädie ist viel Luft nach oben. Für ein Indie-Team trotzdem eine grandiose Leistung, die hoffentlich fortgesetzt wird!
Wertung
von einer Buchvorlage inspiriert
auf PS5 Pro optional mit 60 statt 30 fps
verpackt mit Steel Book, Lithografie Set, digitalem Soundtrack und Artbook
Spielerisch charmanter, grafisch wegweisender und einsteigerfreundlicher Genre-Mix – allerdings mit Schwächen bei Spieltiefe, Komfort und Multiplayer.
Singleplayer79MultiplayerGrafikSound
